Apolitische Mitläuferin

■ Dokumentarfilm und Buch: Tänzerin Annie Peterka berichtet über ihre Zeit im „Arbeitserziehungslager“ der Nazis

Sie hat sich dem System nicht angedient. Hat nichts getan, um das NS-Regime zu stützen. Aber Annie Peterka, Jahrgang 1913, hat eben auch nicht abgelehnt, als ihr das Ulmer Stadttheater 1936 eine Stelle als Solotänzerin anbot. Es war ihr zweites Engagement, und sie nahm es an – „ahnungslos wie ein Engel“, wie die heute 88-Jährige es formuliert. Wegen „Tarnung als Arierin“ verbrachte sie die Jahre 1942 bis 1944 im „Arbeitserziehungslager 21“ bei Salzgitter. Später – von 1949 bis 1961 – arbeitete sie am Metropoltheater im Osten Berlins. Von 1961 bis 1973 war sie Chefchoreographin des Fernsehballetts des NDR. Sie lebt in Hamburg.

In einer mit einem Dokumentarfilm kombinierten Lesung aus Elke Krafkas Biographie Getanzte Zeitgeschichte ist Annie Peterka, die über ihre Lagerzeit lange schwieg, morgen im goldbekHaus zu erleben. Ihre Vita passt in kein Raster kritischer Nachkriegs-Diskussionen. Eine Mitläuferin sei sie gewesen, schreibt Krafka, apolitisch und von dem Wunsch zu tanzen durchdrungen. Auch habe sie weder gewusst, dass ihre Großeltern jüdisch waren, noch was ein KZ war.

Doch die Wissenslücke half ihr nicht: 1942 wurde sie verhaftet, weil sie angeblich ihre jüdischen Vorfahrenverschwiegen habe – ein Vorwurf, der der Protestantin absurd vorkam. Über verschiedene Stationen kam sie ins Lager 21, ein „Arbeitserziehungslager“ bei Salzgitter, wo sie zwei Jahre mit Kohlen- und Steineschleppen verbrachte, bis der Komponist F. H. Heddenhausen die Freilassung Annies, ihrer Mutter und ihres Bruders erwirkte. Denunziantin war die linientreue Ex-Schwägerin gewesen.

An ein schlimmes Ende habe sie nie geglaubt, sagt Peterka heute. Die Mitgefangenen seien zuvorkommend gewesen, die Lagerleitung habe sich gut um sie gekümmert. Hass etwa gegenüber der Hauptwachtmeisterin habe sie nie entwickelt: „Ich habe gedacht: Die macht eben ihre Arbeit.“ Keine Kritik, keine Fragen – ein Verhalten, das auch Peterkas Wiederbegegnung mit ihrer Mutter nach beider Freilassung prägt: „Keinem Menschen ... hätte sie gesagt, dass sie nicht katholisch ist, ... sondern die Tochter eines jüdischen Millionärs. Und sie hat mir nichts davon erzählt. ... Wir haben uns unterhalten, als kämen wir beide vom Erho-lungsurlaub.“ Ein irritierendes Muster. Und die Autorin spielt es mit: Merkwürdig stoisch berichtet sie über Peterkas Scheidung: „Für Annie Peterka und ihren Mann Walter Stoll, der als Soldat Kriegsdienst leisten musste, gab es ein Wiedersehen, verbunden mit der Erkenntnis, dass die Erlebnsise der vergangenen Jahre aus ihnen andere Menschen gemacht hatten.“ Keine Nachfrage der Autorin stört Peterkas Perspektive.

Ab 1949 war Annie Peterka Chefchoreographin am Ostberliner Metropoltheater – eine Tätigkeit, bei der sie immer stärkeren Bevormundungen ausgesetzt war. Am 18. August 1961 kündigte sie. Sie könne ihre Arbeit „nicht ... mit Lüge fortsetzen“, schreibt Peterka, zumal die „Maßnahmen vom 13. August ... in starkem Gegensatz zu dem (stünden), was ich unter Humanismus verstehe.“

Petra Schellen

Film- und Buchpräsentation: morgen, 19.30 Uhr, goldbekHaus.Elke Krafka: Getanzte Zeitgeschichte. Annie Peterkas Leben zwischen Tanz und Politik. Aschaffenburg 2000, 84 S., 10 Euro