Aufbruch in die Salzwüste

Die Hoffnung tanzt als weiße Feder: „No Mad’s Land“ im Haus der Kulturen der Welt zeigt experimentelle Kunst aus Zentralasien. Der Alltag nach dem Ende der Sowjetunion führt zu beinahe vergessenen Traditionen und Nomadentum

Im hellen Ausstellungsraum des Hauses der Kulturen der Welt fällt mein Blick sofort auf eine hügelige Landschaft aus Lehm. „Briefe aus der Vergangenheit“ nennt sich diese merkwürdige Installation. In der hinteren linken Ecke entdecke ich ein Kunstwerk aus Autoreifen, einem Video und Fotos einer Busreise durch Asien. Gegenüber hat eine junge Frau im Brautkleid ihr Zimmer aufgebaut und trinkt jetzt ganz entspannt Tee.

Auf den ersten Blick passt das alles absolut nicht unter einen Hut, wir scheinen uns im Königreich der hybriden Kunst zu befinden. In der Ausstellung vertreten sind vier der ehemaligen Sowjetrepubliken: Kasachstan, Usbekistan, Kirgisistan und Tadschikistan. Das Fehlen turkmenischer Kunst erklärt Valeria Ibraheva, neben Sabine Vogel Kuratorin der Ausstellung, mit einem Hinweis auf die katastrophale Kulturpolitik der turkmenischen Regierung.

In allen vier Staaten ist man nach Erlangen der Unabhängigkeit auf der Suche nach einer neuen Identität; wegen der sehr willkürlichen Grenzziehung durch die Sowjets kommt es zu Streitigkeiten, und außerdem herrscht im gesamten Gebiet eine große Wasserarmut. Auch die Umstellung von Plan- auf Marktwirtschaft nach dem Fall des eisernen Vorhangs brachte Schwierigkeiten mit sich: In Kirgisien zum Beispiel lebt das Nomadentum wieder auf – Frauen wohnen mit ihren Kindern in den traditionellen Jurten, während die Männer in den Städten Arbeit suchen.

Auch zehn Jahre nach dem Niedergang der Sowjetunion leben die Künstler nicht ganz frei: Unter dem Mantel der nach westlichen Maßstäben angelegten Demokratien haben sich autoritäre Regimes etabliert. Freie Künstler haben es schwer, ihre Kunst zu verkaufen, aber zumindest wird nicht mehr zensiert. Verständlich, dass den Kreativen da alle Themen auf einmal in den Kopf schießen. Zusammengestellt wurde die Ausstellung eben nur nach dem Prinzip, experimentelle Kunst aus den ehemaligen Sowjetrepubliken zu zeigen und die staatlich kontrollierte auszulassen.

Den roten Faden entdeckt man dann aber auf den zweiten Blick. Immer wieder weisen die Künstler auf ökonomische, politische und ökologische Probleme hin. Da findet man zum Beispiel Berge aus groben, glitzernden Salzkristallen, eine richtige Wüste aus Salz. Sie spiegelt sich in der Glasfront des Ausstellungsraumes und täuscht ewige Weite vor. Meditativ und beruhigend wirkt diese fremde Landschaft; doch soll die Installation von Hakim Tourdiev mahnend an eine der größten ökologischen und sozialen Katastrophen erinnern – an die Austrocknung des Aralsees.

Vladimir Tulkins „Experimentum crucis“ zeigt gnadenlos bittere Bilder aus einer Jugendstrafkolonie: Nackt müssen die Jugendlichen durch den Schnee laufen und bis zur absoluten Erschöpfung arbeiten. Zwischendurch sieht man sie beim Religionsunterricht: „Wichtig ist, das Böse anzunehmen und das Gute weiterzugeben“, sagt ein Sträfling. Wahre Reue?

Abilsait Atabekovs „Supersoldier“ kritisiert das kriegerische und unbrüderliche Verhalten der Turkvölker. Der Streit um Grenzen sei sinnlos, so Atabekov, schließlich gebe es genug Land. Im Jahr 2000 wurde der Künstler Vater und fügte seiner Installation eine Wiege mit einer Kalaschnikow hinzu. Jetzt fragt sein Kunstwerk: Ist es ein gutes Zeichen, dass unsere Kinder unter Gewalt und Krieg zur Welt kommen?

Auch die Geschichte der Region wird verarbeitet: In Kasachstan, um Karaganda herum, bauten die Sowjets rücksichtslos die Kohle ab und hinterließen eine ruinierte, düstere Landschaft. Davon inspiriert schuf Georgy Tryakin-Bukharov sein „Fliegendes Weiß“. Eine Collage aus Stoff, Holz, Metall und einem Foto, das das Verwaltungsgebäude eines Gulags zeigt. Eine sich drehende weiße Feder steht für die Hoffnung, so der Künstler. Über allem prangt wie ein ironischer Heiligenschein das Dachelement eines traditionellen Zeltes.

Weitere immer wiederkehrende Motive sind beinahe vergessene Traditionen. Der Kasache Gaukhar Kiekbayeva beschäftigt sich mit dem Ritus der Brautentjungferung, der in einigen zentralasiatischen Staaten zumindest auf dem Land noch gang und gäbe ist: In seiner Installation „Peepshow“ schlüpft der Besucher in die Rolle der Frauen, die in der Hochzeitsnacht hinter einem Vorhang wachen. Am nächsten Morgen beweist ihnen das befleckte Laken die Entjungferung.

Rustam Khalfin interessiert sich für die Kultur der Reiternomaden und verbindet deren Tradition in seinem Video „Love races“ mit Erotik. Das Video zeigt einen auf dem Rücken eines Esels vollzogenen Akt. Pornografie ist das trotzdem nicht: Das Ganze wirkt intim und unverfälscht.

Die Orientierung an alten Bräuchen zeigt sich auch in der Verwendung traditioneller Materialien: Da gibt es ein Nomadenzelt aus Filz, in dem auf einem Fernseher Bilder von der ersten Mondlandung flimmern. Oder eine aus schwarzen und weißen Jakhaaren geflochtene Leiter, die zum Himmel führt. Dabei stehen die Farben der Haare für Tag und Nacht, für Leben und Sterben.

Auf der Strecke bleibt leider das Hintergrundwissen: Vieles in der Ausstellung wird nur oberflächlich berührt. Doch da helfen das himmelblaue Magazin zum Programm, das Abbildungen einiger Exponate und Basisinformationen liefert, und die Führungen, die samstags und sonntags um 16 Uhr stattfinden. Und so verlässt man das Haus der Kulturen der Welt am Ende mit einem Netz voll neuer Eindrücke, die sich weitmaschig im Kopf zusammensetzen. LENA HOPPE

Bis 20. 5., Di.–So. 12–20 Uhr, Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, Tiergarten