„Mein Vorbild ist Porto Alegre“

Heidi Knake-Werner steckt in der Klemme. Die Sozialsenatorin trägt massive Kürzungen mit, will die PDS aber als Partei der sozialen Gerechtigkeit positionieren. Diesen Spagat will sie nicht allein aushalten und setzt auf Partizipation der Betroffenen

Interview STEFAN ALBERTI
und SABINE AM ORDE

taz: Frau Knake-Werner, finden Sie den Haushaltsentwurf des Senats gerecht? Sozial gerecht?

Heidi Knake-Werner: Wenn man akzeptiert, dass je nach Leistungsfähigkeit letztlich jede und jeder einen Sparbeitrag leisten muss, dann ist er gerecht. Bei einem Haushalt, bei dem so gespart werden muss, gibt es aber auch Einschnitte, die Bevölkerungsgruppen treffen, die ich von Kürzungen lieber ausnehmen würde.

Ist es gerecht, dass bei Sozial- und Frauenprojekten, bei Kitas und Jugendklubs massiv gespart wird, aber die drei Opern der Stadt beinahe ungeschoren bleiben, weil der Regierende Bürgermeister seine schützende Hand darüber hält?

Wir haben gemeinsam Wissenschaft, Kultur und Bildung als Priorität unserer Politik festgestellt und sind entsprechend mit ihnen verfahren. Das finde ich richtig, denn hier liegen Zukunftspotenziale. Im Haushalt ist übrigens nicht vor allem bei der Off-Kultur gekürzt worden, sondern auch bei der Hochkultur, also bei Theatern, Balletten, dem Preußischen Kulturbesitz.

Aber mit sozialer Gerechtigkeit und Umverteilung von oben nach unten, wie es sich die PDS auf die Fahnen geschrieben hat, hat das wenig zu tun.

Das Problem ist, dass es nichts zu verteilen gibt. Viele Menschen in dieser Stadt verstehen, dass wir sparen müssen, damit wir irgendwann wieder Gestaltungsspielräume bekommen. Wir müssen aber stärker betonen, wer die Verantwortlichen für die Bankenkrise und diese Haushaltsmisere sind und was wir tun wollen, um sie zur Rechenschaft zu ziehen. Aber an Herrn Landowsky zum Beispiel kommen wir nicht ran.

Das macht die Frage nach sozialer Gerechtigkeit noch drängender.

Ich werde versuchen, die Treppe von oben zu kehren, und verhindern, dass die Einsparungen diejenigen treffen, die am meisten auf unsere Unterstützung angewiesen sind.

Das sind Sozialhilfeempfänger. Aber genau bei denen soll jetzt dramatisch gespart werden: 250 Millionen Euro.

Jetzt muss ich erst mal etwas klarstellen, was in den letzten Tagen häufig verwechselt worden ist. Wir sparen 26 Millionen Euro bei der Sozialhilfe und zwar dadurch, dass künftig mit Durchschnittszuweisungen an die Bezirke gerechnet wird. Der Rest betrifft andere Sozialleistungen, zum Beispiel Hilfe zur Erziehung, bei denen wir im Vergleich zu anderen Großstädten und Ländern überdurchschnittlich hohe Ausgaben haben. Diese Kürzungen betreffen die Bezirkshaushalte. Und hier hatte ich keine Entscheidungsspielräume.

Sie sind Sozialsenatorin.

Diese Sozialleistungen werden direkt von der Finanzverwaltung im Rahmen der Globalsummen an die Bezirke gegeben und dort ausgezahlt. Auf diesem Gebiet könnte ich höchstens eine Bundesratsinitiative starten, um die Sozialhilferegelsätze abzusenken oder das Asylbewerberleistungsgesetz weiter zu verschärfen oder Berlin an das unterste Sozialhilfeniveau zum Beispiel in Sachsen-Anhalt anzugleichen. Das werde ich nicht tun.

Wie sollen dann 250 Millionen Euro zusammenkommen?

Zum Beispiel dadurch, dass man Menschen in Arbeit bringt. Ich habe mir am Donnerstag das Bundesmodellprojekt in Pankow angesehen, wo durch die Zusammenarbeit von Arbeits- und Sozialamt Sozialhilfeberechtigte in Arbeit gebracht werden sollen. Auch in anderen Bezirken gibt es ähnliche Aktivitäten. Zum Beispiel wurden in Weißensee durch Fallmanagement knapp 1.000 Sozialhilfeempfänger in Arbeit gebracht. Da ist was drin. Aber am Anfang muss man hier investieren, das ist klar. Und das müssen wir auch aus Landesmitteln vorschießen. Ohne mehr Personal, Beratung, Qualifizierungsmöglichkeiten und Lohnkostenzuschüsse für eine bestimmte Klientel wird es nicht gehen.

6.000 Sozialhilfeberechtigten wollen Sie Arbeitsplätze vermitteln – laut Koalitionsvertrag dauerhaft und nach Tarif bezahlt. Ist das realistisch?

Ja, das ist realistisch, aber es verlangt auch enorme Anstrengungen. Wir müssen mit den Bezirken gemeinsam über die Wege dahin entscheiden. Und wir müssen aufpassen, dass der Rest nicht auf der Strecke bleibt.

Dazu braucht man Personal, die Sozialämter sind völlig überlastet. Die Bezirke sollen ihr Personal aber drastisch abbauen.

Durch den Personalabbau im öffentlichen Dienst gibt es viele Überhangkräfte. Wenn man diese Menschen qualifiziert, können sie unter anderem Aufgaben von Sozialmanagern übernehmen.

Wenn es wirklich mit den 6.000 Vermittlungen jährlich klappt, bringt das für den Doppelhaushalt Einsparungen von 57 Millionen Euro. Bei den Sozialausgaben sollen aber 250 Millionen Euro eingespart werden. Wo soll der Rest herkommen?

Hier stehen die Bezirke vor schwierigen Aufgaben. Die Sozialämter zahlen die Regelsätze, die Pauschalen, Wohngeld usw. Die Bezirke müssen nun prüfen, wie sie durch Fallmanagement und andere Initiativen, durch effektivere Entscheidungsstrukturen, vielleicht auch durch Verzicht auf Leistungen, weiter Einsparungen hinbekommen. Entlastung wird es durch die ab 2003 bundesweit eingeführte Grundsicherung bei der Rente geben. Dafür erhalten wir etwa 50 Millionen Euro, die unsere Sozialetats entspannen.

Die Sozialstadträte halten diese Summe für unrealistisch. Eine der wenigen Einsparmöglichkeiten wäre, die Entgelte für die Leitungserbringer, also für Wohlfahrtsverbände oder andere freie Träger, zu reduzieren. Sie würden also weniger Geld für bestimmte Leistungen bekommen. Diese Entgelte werden von Ihnen ausgehandelt. Wollen Sie hier reduzieren?

Ja, hier müssen wir verhandeln und überlegen, was möglich ist. Es müssen ja auch nicht alle Angebote für alle kostenlos vorgehalten werden. Vielleicht ist es auch möglich, noch intensiver über soziale Staffelungen nachzudenken.

Die Vereine und Verbände, die in den Bezirken zum Beispiel Hilfen für Familien, Alte, Behinderte anbieten, klagen bereits jetzt, dass die Entgelte nicht ausreichen. Sind Billighilfen verantwortbar?

Im Pflegebereich ist das durchaus eine Gefahr, da muss man aufpassen. Die meisten Anbieter sind aber große Wohlfahrtsverbände, mit ihnen muss man die Spielräume ausloten. Man muss auch über andere Finanzierungsoptionen als immer nur über Landesmittel nachdenken.

Finanzsenator Sarrazin will aber auch die Ausgaben für die originäre Sozialhilfe reduzieren und verweist aus restriktive Methoden in anderen Staaten, zum Beispiel in den USA. In Berlin macht der Bezirk Reinickendorf mit Kontrollen und Schikanen von Sozialhilfeberechtigten immer wieder Schlagzeilen. Welchen Weg würden Sie gehen?

Natürlich gibt es immer Leute, quer durch alle Bevölkerungsgruppen, die Ansprüche missbrauchen. Ich möchte aber kein Klima, das durch Restriktion und das Ausschnüffeln von Sozialhilfeberechtigten geprägt ist. Man muss Anreize schaffen. Im Übrigen hat Reinickendorf mitnichten die geringsten Sozialhilfeausgaben pro Kopf in Berlin.

Aber wenn man die Finanzschraube in den Bezirken so anzieht, befürchtet beispielsweise die grüne Sozialstadträtin von Charlottenburg-Wilmersdorf, dass es zu solchen Reaktionen in den Ämtern kommen wird.

Das ist erst mal Sache der Bezirke. Aber wir reden natürlich mit den Sozialstadträten über die Frage, wie man diese Situation bewältigen kann, welche Wege wir gehen wollen. Mir geht es um nachhaltige Lösungen. Missbrauchsfahndungen sind das nicht. Ich höre auch aus meiner eigenen Partei, dass man künftig wohl statt Prothesen nur noch Holzbeine bezahlen könne. Ein solches Klima will ich nicht.

Kommen wir zu den Einsparungen, die direkt von Ihrem Haushalt erbracht werden: 5 Millionen Euro, die bei den Zuwendungen für Verbände und Projekte wegfallen. Wo wollen Sie sparen?

Erst eine kurze Erläuterung: Wenn wir beim Bund den Notstand einklagen, dann hat das zur Voraussetzung, dass die so genannten Ausstattungsvorsprünge wegfallen, also das, was wir uns mehr leisten als andere Bundesländer. An das Landespflegegesetz zum Beispiel, das für Blinde, Sehschwache und Hilflose höhere Leistungen als in anderen Ländern vorsieht, will ich nicht ran. Über andere Einrichtungen kann man reden. Wenn man den Nahverkehr behindertengerecht ausbaut und das gut mit Taxen und mobilen Diensten kombiniert, dann könnte man beim Telebus sparen. Da werden jetzt jeden Tag 80 Autos vorgehalten, das kostet jährlich 13,5 Millionen Euro.

Wollen Sie den Behindertentransport abschaffen?

Natürlich nicht, aber überlegen, wie er kostengünstiger und effektiver organisiert werden kann.

Was steht noch auf dem Prüfstand?

Generell alles: Auch alle Verbände, Projekte, Einrichtungen, die für das Land Leistungen erbringen. Kürzungen nach dem Rasenmäherprinzip lehne ich allerdings ab. Wir wollen schon selbst entscheiden können, wo gespart werden kann. Mit der Haushaltsentscheidung haben wir Zeit gewonnen, mit den Betroffenen und Verantwortlichen über sinnvolle strukturelle Sparmöglichkeiten zu reden. Sparen heißt ja nicht per se Leistungsabbau. Ich will verhindern, dass wir die Projektestruktur platt machen, weil sie viel bürgerschaftliches Engagement bindet.

Konnten Sie dafür den Finanzsenator gewinnen? Oder anders gefragt: Geht es im Senat überhaupt noch um etwas anderes als Zahlen, also um inhaltliche Diskussion?

Manchmal schon.

Heißt das: in Ausnahmefällen?

Auf der Haushaltsklausur haben wir natürlich inhaltlich diskutiert. Der Finanzsenator hat eigene Sparvorschläge gemacht. Darüber wurde heftig diskutiert.

In Stimmung „panischer Heiterkeit“, wie PDS-Kultursenator Thomas Flierl es genannt hat?

Ja, ein bisschen war das wirklich so. Aber es war trotz allem eine kollegiale Atmosphäre.

Auch mit dem Finanzsenator, über dessen polternde Art sich vorher viele Senatsmitglieder geärgert haben?

Ja, auch mit dem Finanzsenator. Er war auch bereit, gewisse Dinge zu akzeptieren, auch wenn er sie noch immer anders sieht als ich.

Sie haben zwischendurch aber einen ziemlich sauren Eindruck gemacht und öffentlich kurzfristiges, dummes Sparen kritisiert.

Da ging es um Kürzungen nach dem Rasenmäherprinzip in meinem Ressort. Das wäre wirklich dumm und unkreativ gewesen. Aber das ist ja jetzt erst mal vom Tisch.

Wie geht es mit Vivantes weiter, dem Konzern aus den zehn ehemals städtischen Krankenhäusern?

Fur Vivantes übernehmen wir als Land die Bürgschaft für einen Kredit. Damit ist der Konzern wieder liquide und kann seinen Konsolidierungsprozess fortsetzen.

Bislang ist Vivantes ja vollständig Eigentum des Landes, der Aufsichtsrat hat jetzt aber beschlossen, die Privatisierung zu prüfen. Das wollte der Finanzsenator, Sie nicht. Sind Sie unterlegen?

Nein, ich bin dagegen, Vivantes jetzt zu privatisieren, weil das sogar ökonomisch der blanke Unsinn wäre. Der Konzern muss sich erst konsolidieren, und dann kann man überlegen, ob eine Privatisierung oder Teilprivatisierung wirklich sinnvoll ist. Das wird jetzt geprüft, und damit bin ich ganz zufrieden. Mit den neuen Fallpauschalen für die Krankenhäuser steht uns sowieso eine riesige Umstrukturierung ins Haus. Experten schätzen, dass Berlin dann 6.000 Betten zu viel hat.

Also wird es unter einer PDS-Senatorin Klinikschließungen geben und drastische Kürzungen im Sozialbereich. Parallel steht dann auf den PDS-Plakaten für den Bundestagswahlkampf: sozial und solidarisch. Gerade glaubwürdig wirkt das nicht.

Ich finde, es kommt durchaus rüber, dass es mir gelungen ist, die Interessen der Schwächsten in dieser Stadt zu verteidigen. Natürlich stehe ich auch unter dem gewaltigen Spardruck. Und ich sehe nur eine Möglichkeit: Dass ich nicht hier allein in meinem Kämmerlein entscheide, wo gekürzt wird, sondern die Probleme offen mache, Alternativen anbiete und mit den Betroffenen diskutiere. Ich war vor fünf Jahren einmal in Porto Alegre (Stadt in Brasilien mit großen Finanzproblemen, Anm. d. Red) und habe mir angesehen, wie dort das „partizipative Budget“ funktioniert. Das ist mir nie mehr aus dem Kopf gegangen und jetzt mein Vorbild hier. Man muss gemeinsam überlegen, wie gespart werden kann, um wieder politisch handlungsfähig zu werden. Das ist der einzige Weg.