Hamburger Müllmann vor Gericht

Gegen Millionenbeträge verhalf ein Hamburger Ingenieur Baufirmen zu Aufträgen. Sein Spezialgebiet: Müllverbrennungs- anlagen. Manager der Firma Steinmüller, die Kölner Skandalanlage baute: „Ohne ihn hätten wir keine Chance gehabt“

aus Hamburg MARCO CARINI

Nur die „alleroberste Spitze des Eisbergs“, so Hans Reimer, sei der Kölner SPD-Skandal um Müllanlagen, Korruption, Bestechung und fingierte Spendenquittungen. Der Mann weiß, wovon er redet. Denn der 69-jährige Ingenieur, der jahrzehntelang eine Schlüsselfigur im lukrativen Geschäft mit der Verwertung von Abfall war, soll nach Auffassung des Hamburger Landgerichts selber Millionen Mark Bestechungsgelder kassiert haben. Da er diese dem Fiskus nicht angezeigt hatte, muss er sich zur Zeit wegen Steuerhinterziehung vor dem Gericht verantworten. Der Prozess, der ein Schlaglicht auf eine Schmiergeldaffäre kaum vorstellbaren Ausmaßes wirft, wird heute fortgesetzt.

Der Vorsitzende Richter, Klaus Rühle, hält es für erwiesen, dass Reimer von den größten Anlagenbauern der Republik über verschlungene Wege knapp 20 Millionen Mark Bestechungsgelder erhielt. Dafür besorgte er ihnen lukrative Aufträge in oft dreistelliger Millionenhöhe. Denn der Hamburger Ingenieur galt in den Achtziger- und Neunzigerjahren als der Experte schlechthin, wenn es um den Bau von Müllverbrennungsanlagen ging: An der Planung jeder zweiten Anlage war er über sein Planerbüro Goepfert, Reimer und Partner (GRP) beteiligt. Er beriet Kommunen, Entsorgungsunternehmen und Anlagenbauer gleichzeitig – und kassierte doppelt und dreifach.

Die Liste der Firmen, die an Reimer zahlten, liest sich wie das Who is who der Müllwirtschaft: Der Mannheimer Anlagenbauer ABB, die Deutsche Babcock und deren Tochter Steinmüller, Noell aus Würzburg und viele andere haben nach Einschätzung des Gerichts Reimers regelmäßig bedacht, um sich die Millionenaufträge zu sichern. Eine akribisch geführte handschriftliche Aufstellung, die die französische Polizei im Ferienhaus des Anlagenplaners nahe Aix-en-Provence sicherstellte, gibt detailierte Auskunft über die Schmiergeldzahlungen. Brisant dabei: Reimer behauptet, Teile der Schmiergeldmillionen seien nicht in seinen eigenen Taschen gelandet, sondern zur „Beatmung“ von Politikern verwendet worden, wie die Bestechung in der Müllbranche genannt wird. Namen aber nannte Reimer nicht – bislang.

Die Bestechung verlief nach Einschätzung des Gerichts immer nach dem gleichen Muster: Reimer informierte die Baufirmen über Details des Ausschreibungsverfahrens, gab ihnen Insidertipps und setzte sich als Berater oder Generalplaner der Auftraggeber für bestimmte Anlagenbauer ein. Dafür kassierte er 1 bis 2 Prozent „Provision“ von seinen Kunden. Die Zahlungen flossen als Betriebsausgaben deklariert auf ein Konto der Schweizer Briefkastenfirma „Pentag AG“, von dem sich Reimer dann offensichtlich bediente. Als Gegenleistung vermittelte der heute 69-jährige Ingenieur unter anderem die Aufträge bei den Müllverbrennungsanlagen in Köln-Weisweiler, Hamburg, Neubrandenburg, Bamberg, Brunsbüttel oder Böblingen und vermutlich auch Rostock an die ihn bedienenden Unternehmen.

Wie das Geschäft lief, machte bei der Vernehmung ein Manager der Gummersbacher Firma „L & C Steinmüller“ deutlich, die als Erbauer der Müllverbrennungsanlage Köln-Niehl eine zentrale Rolle im Kölner Bestechungsskandal spielt und auf der Spendenliste des ehemaligen SPD-Fraktionschefs Norbert Rüther ganz oben steht. Der Manager klagte vor dem Gericht, Steinmüller habe trotz guter Angebote jahrelang keine lukrativen Bauaufträge erhalten: „Unsere Misserfolge waren darauf zurückzuführen, dass wir die Spielregeln nicht kannten.“ Erst als die Anlagenbauer Reimer kennen lernten und ihn regelmäßig schmierten, füllten sich die Auftragsbücher. „Ohne Herrn Dr. Reimer hätten wir keine Chance gehabt, in den engeren Kreis der Anwärter zu kommen“, erklärte Exgeschäftsführerin Sigrid Michelfelder. Allein 1996 ließ das Gummersbacher Unternehmen Reimer deshalb mehr als eine Million Mark Provision zukommen.