Butterfahrt ins Aus

Dem Hansa-Theater werden ab 2003 die öffentlichen Zuschüsse gestrichen. Mit der letzten Vorstellung trug sich das Volkstheater selbst zu Grabe

von WALTRAUD SCHWAB

Niemand hatte feuchte Augen und keine Anwesende begehrte dagegen auf, dass das Hansa-Theater am Sonntag den letzten Vorhang hob. Abgewickelt. Weggekürzt. Hier aber fehlte jeder Aufschrei gegen die Sparpolitik des Senats, schlimmer, das „einzige Volkstheater Berlins“ trug sich bei dieser Gelegenheit selbst zu Grabe. Als sich die Schauspieler am Ende verneigten, blieb der Applaus müde. Sogar zu Recht. Gegeben worden war eine schaurige Inszenierung einer wenig erbaulichen Geschichte, die nichts mit dem Leben im Allgemeinen, gar nichts mit dem Leben der Berliner und auf gar keinen Fall etwas mit der Wirklichkeit der hier versammelten Gemeinde der im Schnitt etwa 65-jährigen dauergewellten Damen zu tun hatte. „Was macht eine Frau mit zwei Männern?“ so der Titel.

Trivial ist die Story, Gefühle sind auf Schablonen reduziert: Eine rassige Pelzdiebin verhindert die Verlobung zwischen einer Blondine und einem Rechtsanwalt. Eingefädelt wurden die Schwierigkeiten von der Mutter des Starjuristen. Am Schluss verliebt sich die vermeintlich Kriminelle in den Unverlobten. Den größten Unterhaltungswert steuert bei dieser Vorstellung mitten im 50er-Jahre Ambiente eine Katze bei, die während der Liebeserklärung über die Bühne läuft. Weil sie nicht schwarz war, wird niemand um sein Leben fürchten müssen. Große Leidenschaften wurden nicht geboten und von daher auch nicht geweckt. Mitten in der kulturellen Diaspora Moabits wird ein Theater geschlossen. Eigentlich ein Skandal, aber wen stört es und wem wird es fehlen? Die Unterhaltung, der hier das Wort geredet wird, schaffen Laienspielgruppen auch, selbst wenn deren schauspielerisches Niveau nicht mit den Profis, die am Hansa-Theater am Werk waren, konkurrieren kann.

Mit der Dernière in Moabit wurde bestätigt, was im Senatsgutachten über die Konzeptförderung der Privatbühnen steht. Dass im Hansa-Theater „nicht die Spur des schnellen Berliner Witzes“ geboten würde, sondern „platte, eindimensionale Charakterzeichnung“. Es sei kein „geistreiches, sondern äußerst zähes, müdes Boulevardtheater“. Der damalige CDU-Kultursenator Christoph Stölzl hatte das Gutachten noch in Auftrag gegeben, das fürs „Icke“ und „Dette“ und „Wa“ zum Verdikt geriet über Parteigrenzen hinweg. Am 4. März beschloss der rot-rote Senat ohne Gegenstimme, das Hansa-Theater nicht länger zu fördern.

Letzte Vorstellungen verdienen es, als Feuerwerke abzubrennen, nicht als Pflichterfüllung. So aber – ohne Emphase, ohne Wehmut, ohne Passion – wird der verordneten Abwicklung des Theaters noch in die Hände gespielt. Kritik an ungerechter Sparpolitik lässt sich so nicht begründen, selbst wenn offensichtlich ist, dass dieses Publikum in seinen adretten Perlonpullovern und der Vorliebe für gedecktes Pastell niemals für sich und seine Interessen eintreten wird, der Senat aber gerne da kürzt, wo Proteste nicht zu erwarten sind und keine gediegene Lobby laut aufschreit.

„Wissen Sie, so ein bisschen Geselligkeit hab ich hier“, antwortet eine der Damen auf die Frage, was sie zum Hansa-Theater führt. Ein bisschen Gucken, Plaudern, Sichvergessen bei Kaffee und Kuchen in der Pause. Aber eine Träne nachweinen? Sie schüttelt den Kopf. Dass der Senat die Falschen begünstigt, ist ihr längst klar. Ihr nächster Satz beginnt mit „die Türken‘‘ und verheißt leider nichts Gutes.

Der künstlerische Leiter Fred Yorgk, der die Abwicklung, so sagt er, nicht als persönliche Niederlage versteht, setzt mit seinem Epilog nach der Vorstellung den peinlichen Höhepunkt. Er zetert gegen den „Jugendwahn der Politiker“ und ihre Kulturpolitik, er bedauert, „dass auf Mord Zuchthaus steht“ und wenn es den Schwimmbädern wirklich so schlecht gehe, dann schlage er vor, den Orchestergraben der Lindenoper mit Wasser zu füllen und daraus eine Badeanstalt zu machen. Dann aber lädt er sein Publikum ein, noch ein wenig zu bleiben und einer Werbeeinlage für den „Operetten-Express“, der im Hansa-Theater gastiert, zu lauschen. Es sei ja noch nicht so spät und die Zuschauer seien noch nicht in jenem Alter, wo sie im Seniorenheim an Essenszeiten gebunden sind, meint er. Sein Kompliment an das Publikum gleicht einer Beleidigung. Irgendwas läuft hier aus dem Ruder, aber niemand schreit auf.