leben in funnyland
: YVES EIGENRAUCH gibt seinen ausstand

„eine schönste zeit“

die traurige nachricht erreichte uns gestern. und sie kam per mail von unserem kolumnisten yves eigenrauch. hier ihr text: „Guten Morgen ihr lieben, hi frank, hi matti, ich habe ja schon länger darüber nachgedacht, wie lange die Kolumne noch laufen sollte (wir sprachen darüber). Auch in den vergangenen Wochen war dieses der Fall, ohne dass ich zu einem Schluss gekommen wäre. Aber jetzt! Ich denke, dass die letzte Kolumne ein guter Abschluss war. Vieles bleibt offen, das meiste ist allerdings geschrieben. Jedenfalls gäbe es in Zukunft nicht mehr so viel Nettes zu schreiben, zumindest nicht in mittel- oder unmittelbarem Zusammenhang mit dem Fußball. Tut mir leid, dass ich euch erst so spät Bescheid gebe, aber wie geschrieben – ich war mir meiner Sache selbst nicht ganz sicher. Ich melde mich heute im Verlauf des Tages telefonisch, bis dahin – sonne aus ge. yves

zweieinhalb jahre oder 58 Kolumnen lang hat yves für die taz aus seinem leben in funnyland berichtet. nun, eine gute woche, nachdem er seine karriere als profifußballer für beendet erklärt hat, erklärt er auch sein ende als taz-kolumnist. uns, der taz, bleibt nur: danke zu sagen yves, die sonne aus gelsenkirchen wird uns fehlen. und noch einmal das allererste leben in funnyland abzudrucken, das am 14. september 1999 erschien.

ich befinde mich in einem raum mit leuchtstoffröhren als lichtquelle, nur kleine oder vielleicht keine fenster sind vorhanden. das licht ist … ja, es ist genauso wie in dem film „joe allein gegen den vulkan“ in der szene, die im büro spielt. unsere umkleidekabine. irritiert schaue ich von meinem platz aus umher, zu surreal erscheint diese situation. nicht zuletzt dadurch, dass die dominierenden raumfarben weiß und blau sind. alles wirkt so überstrahlt, so überbelichtet.

mein platz: ein klassischer schulstuhl. einzig die vereinzelt herumstehenden, mit gelbem mineralgetränk gefüllten becher, der gelbe amstel-werbehut auf einem kleiderspind sowie die gelben flipchart-magneten zeigen sich für einen farbtupfer in der blau-weißen welt verantwortlich. aber warum gerade gelb. dann doch lieber türkis. oder pink.

so abwechslungsreich wie die farben sind auch die stimmen; lautes gewirr. auch die inhalte; viel fußball. verwundert jedoch nicht, schließlich ist das fußballspielen unser job. nein, hier nicht, hier ist es kein job, es ist unser beruf. wach ich oder träum ich? fußball spielen ein beruf! bin wach.

musik aus dem radio lässt mich träumen, jetzt. klingt wie funky cold medina von tone-lock. klingt nach sommer, sonne, kiesloch und mädchen. damals, neunzehnhundertneunundachtzig, war ein klasse sommer. auch wegen tone-lock. endlich achtzehn, endlich auto fahren dürfen. mama und papa waren so lieb. der tag ist hell, die leuchtstoffröhren brennen, und doch bin ich auf einmal weit weg. kaum etwas anderes holt situationen und erlebnisse wieder so nah heran wie musik. damals gehört, wird der klang synonym für das erlebte. mit geöffnetem verdeck abends in die stadt fahren, um sich in einer kneipe mit freundinnen zu treffen.

in einer kneipe ist wohl nicht der richtige ausdruck. im markt 15. wir waren doch popper oder tendierten zumindest bezüglich der kleidung und der ansichten in jene richtung. was sagt das lexikon: „seit ende der siebzigerjahre eine bezeichnung für einen in kleidung, konsum und umgangsformen elitär ausgerichteten jugendlichen mit besonderer betonung des äußerlichen.“ stimmt.

brainstorm. mein gott, war das spontan. einfach für ein wochenende nach grömitz zu fahren, zu viert. sommer, sonne, die fünf stunden fahrt. brainstorm. zelten am baggersee. absprechen, wer mitkommt oder mitkommen soll, nachdem wir dort schon häufiger baden waren. sonne, schwimmen, spielen, lagerfeuer, sterne. brainstorm. auch die discothekenbesuche waren eine klasse für sich. tanzen, beisammensitzen auf dem hof, mädchen, musik, treffen und getroffen werden.

brainstorm. und spät nachts eine fahrt zum kaiser-wilhelm-denkmal. zweisam auf die stadt hinunterschauen. sterne, liebe, sommernacht. gleißende leuchtstoffröhre. nur wenige sekunden sind vergangen seit dem wachen. ich hätte damals wohl doch lieber den erwachsenen glauben schenken sollen, als sie wiederholt behaupteten, die jugend sei die schönste zeit des lebens.

hole dir deine fußballschuhe aus dem zeugraum, könnte eine ereigniskarte sein, ist aber nur der gedanke, der mich erfasst; denn wenn ich mich nicht fürchterlich täusche, gehe ich gleich mit den jungs zum trainingsplatz, um – überraschung! – zu trainieren. fragt mich nicht, warum ich das mache. der trainer ist derjenige, der bestimmt. auch wenn ich gerne noch weiterträumen wollte. beruf ist beruf ist berufung.

habe ich schon erwähnt: mecanical animals. heute, neunzehnhundertneunundneunzig, ist ein klasse sommer. eine schönste zeit, nur nicht mehr so unbeschwert.

Fotohinweis: yves eigenrauch, 30, war fußballprofi bei schalke 04 – und unser kolumnist