Der Dritte Weg ist rosa

Vor fünf Jahren erfand Tony Blair die Sozialdemokratie neu. Mit Erfolg, denn ein neuer Konsens ist da: dass die Instrumente der Politik nicht reichen. Zur Abgrenzung reicht das.

In Österreich, Dänemark, Italien und jetzt auch Portugal wurden die Sozialdemokraten abgewählt und durch Rechtskoalitionen, noch dazu unter Einschluß der radikalen Rechten, ersetzt. Dass Frankreichs Linke die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im April bzw. Juni, Hollands Arbeitspartei die Wahlen im Mai und Gerhard Schröders SPD die im September gewinnen, ist, um das Mindeste zu sagen, keineswegs sicher. Aber folgt daraus schon, daß Tony Blairs „Third Way“ ins Nichts führte, daß die Wortblasen zerplatzten wie Luftballons? Vor einem vorschnellen „Ja“ muss gewarnt werden.

Gewiss: Nicht jeder der von den Futtertrögen vertriebenen Parteien kann der Vorwurf gemacht werden, sie hätte „unmodern“ - oder „zu modern“ - oder einfach „schlecht“ regiert (wobei es in jedem Fall natürlich Gründe für den Mißerfolg gab, doch selten waren es die gleichen Gründe). Die Wortführer des „Dritten Weges“ zucken deshalb mit Recht nur mit den Schultern, fragt man sie nach den Ursachen für diesen negativen Trend: „Natürlich“, sagt Anthony Giddens, Blairs intellektueller Stichwortgeber, „bleiben auch Sozialdemokraten mit einer richtigen Politik nicht automatisch an der Macht.“

Mehr sollte es den Wortführern des „Dritten Weges“ zu denken geben, daß es heute vielleicht noch eine größere Herausforderung ist als vor einem halben Jahrzehnt, eine gemeinsame Strategie der sozialdemokratischen Parteien zu erkennen. Für Tony Blair stand der Pamphletismus vom „Dritten Weg“ , die Suche nach dem „Vision thing“, immer in Spannung zu seinem zweiten Postulat, wonach für‘s Regieren nur von Belang sei, „what works“ (“was funktioniert“). Denn wenn die Pragmatik tatsächlich so einfach funktionieren würde, wozu bräuchte New Labour dann eine Idee, die die Praxis zusammenhält?

Und während Frankreichs Sozialisten zwar erstaunlich pragmatisch regieren, in ihrer Rhetorik, in ihrem Stil, im Symbolischen, aber immer auf Distanz zum Londoner Prediger blieben, ist wiederum die Liebe der deutschen SPD-Führung zum britischen Mittelwegsgefährten deutlich abgekühlt. Der sei seinen deutschen Genossen mit „seiner Schulmeisterei gehörig auf die Nerven gegangen“, ist aus der Berliner Kanzlerstube zu hören, inzwischen interessiere „niemanden mehr, was die Briten machen“.

Und dennoch dürfte ziemlich falsch liegen, wer triumphierend glauben machen wollte, bei denhohen Tönen des „Blairismus“ habe es sich nur um Wortgeklingel gehandelt. Ganz im Gegenteil: Dass es in einer globalisierten und vielfach vernetzten Szenerie Regierungen keineswegs mehr möglich ist (sofern es ihnen je war), durch einzelne Maßnahmen, als würde man an einer Schraube drehen, klar prognostizierbare Ergebnisse zu erzielen, ist Common Sense. Linke Kritik beschränkt sich heute weitgehend auf den Hinweis, daß die Pragmatiker an der Macht selbst den Spielraum, über den sie sehr wohl verfügen, nicht ausschöpfen.

Dass Regierungshandeln, sobald es in aktivistischer Manier Gesellschaftsplanung in Angriff zu nehmen versuchte, unbeabsichtigte Folgen in beträchtlichem Ausmaß nach sich ziehen würde, hat die moderne Sozialwissenschaft schon zum Thema gemacht, bevor Herr Blair noch auf der politischen Bühne erschienen ist. Diese Erkenntnis ist, wenn nicht alles täuscht, heutzutage auch von weiten Teilen des Wählervolkes akzeptiert. Da kann man noch so viel über die Phrasen vom „Dritten Weg“ und der „Neuen Mitte“ spötteln - kein Weg führt zurück ins Paradies des simplen sozialdemokratischen Traditionalismus. Danach kräht nicht einmal mehr der gallische Hahn.

Dies vorausgesetzt, sind gegenüber den Adepten des „Dritten Weges“ allenfalls zwei Vorhaltungen möglich: Erstens, daß ihre „Theorie“ nichts weiter ist als die etwas banale Verdoppelung einer komplexen Realität; und zweitens, dass sie dazu neigen, diese Realität, weil sie so leicht nicht zu ändern ist, schönzureden. Dass sie damit die entscheidende Frage, wie mehr gesellschaftliche Gleichheit zu realisieren sei, ängstlich umschiffen. Dass sie, kurzum, alles Augenmerk auf die Schaffung einer dynamischen Gesellschaft richten und sich ihr sozialdemokratisches Restbewußsein darauf beschränkt, jene Maßnahmen zu ergreifen, die nötig sind, die Armen über die Armutsschwelle zu bugsieren.

Dies könne doch nicht alles sein - eine Gesellschaft, die nur das nackte Elend verhindert? Dieser Einwand wird geradezu provoziert. Die Pointe ist nun: Diese Position wird heute von den Vordenkern des “Dritten Weges“ selbst eingenommen.

Gerade deshalb, weil sie, auf welch verkorkste Weise immer, eine Art ideologischen Mehrwert der bloßen Alltagspraxis zuzuschlagen versuchen, können sie auf lange Sicht um diese Frage gar nicht umhinkommen. Verfolgt man etwa die Stellungnahmen von Anthony Giddens, aber auch von Blairs einstigen Zampano Peter Mandelson, so verwundern sie uns mit Argumenten, die auf erstaunliche Weise jenen ähneln, wie sie hierzulande von jener Bewegung für globale Gerechtigkeit benutzt werden, die allgemein als die der „Globalisierungskritiker“ gilt. So entsteht ein neuer soft-linker Konsens, dem wohl Blair und Giddens, Schröder und Gysi, Fischer, Jospin, Lafontaine und die meisten Attac-Aktivisten zustimmen würden.

Dazu gehört, dass die Politik die Instrumente nicht in der Hand hat, um die „gute Gesellschaft“ zu bauen; dass den neuen sozialen Ungerechtigkeiten in modernen Gesellschaften, mit den gebrochen Identitäten und den multiplen Interessenslagen, die sie generieren, mit Klientelpolitik gar nicht mehr beizukommen ist; dass die progressiven Kräfte (“center-left“ heißt das bei den Briten), wollen sie nicht an Glaubwürdigkeit und an Einfluß verlieren, diese neuen und alten Ungleichheiten in unseren Gesellschaften aber ernsthaft angehen müssen und auch die Superreichen nicht aus ihrer Verantwortung entlassen dürfen - die „fat cats“, wie sie selbst schon Peter Mandelson nennt. Und daß simple „tax-and-spend“-Konzepte wohl zur Realisierung einer solchen „Politik der Gerechtigkeit“ nicht ausreichen werden, ja bisweilen sogar kontraproduktive Wirkungen haben können - dass aber auch Steuererhöhungen und eine aktivistischere Sozialpolitik der Regierungen natürlich nicht für immer und ewig ausgeschlossen werden dürfen.

Sicherlich: Dieser Konsens markiert nicht den intellektuellen Jahrhundertwurf, und er hindert sozialdemokratische Regierungspolitiker nicht daran, Blödsinn zu tun. Er bieten nicht einmal eine Garantie dafür, daß die rechte Konkurrenz bei Wahlen nicht die Nase vorne hat. Wer meint, daß dieser rosa (und blaßgrüne!) Common Sense mit den Ideen der “Third Wayer“ nicht mehr viel zu tun hat, der mag schon ein wenig recht haben. Bevor die traditionelle Linke allerdings in allzu lauten Hohn ausbricht, sollte sie sich zunächst fragen, wie die eigenen, veralteten Konzepte jetzt dastehen.ROBERT MISIK