Der Kanzler herzt die Kinder

Jetzt hat auch Gerhard Schröder die Familienpolitik entdeckt. Nach Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber und den Grünen verspricht der SPD-Chef mehr Geld für die Kinderbetreuung. Ein Familiengeld à la Union hält er für nicht finanzierbar

aus Berlin NADIA LEIHS

Der Kanzler wandelt sich vom Genossen der Bosse zum Familienfreund. Beim Programmforum der SPD gestern in Berlin kündigte Gerhard Schröder (SPD) an, die Wirtschaft bei der Familienförderung stärker in die Pflicht nehmen zu wollen. Der Kampf um die Stimmen der Eltern in Deutschland hat damit an Fahrt gewonnen.

Schröders wichtigster Baustein soll die flächendeckende Betreuung in Kindertagesstätten und Ganztagsschulen werden. „Die Situation von Eltern mit Kindern unter drei Jahren ist geradezu katastrophal“, sagte Schröder. Die Bedenken der Bundesländer und Kommunen versuchte er zu zerstreuen – auf Kosten seines Finanzministers. „Wenn Investitionen nötig sind, dann muss Hans Eichel ein Einsehen haben und Geld in die Hand nehmen.“ Die Grünen forderten gestern, die Staatsausgaben für die Kinderbetreuung um fünf Milliarden Euro zu erhöhen.

Auch die Industrie soll für mehr Betreuung sorgen: Die Zahl von 350 Betriebskindergärten in ganz Deutschland sei nicht ausreichend, „da müssen die Unternehmen kräftig nachbessern“.

Diesen Schwerpunkt begrüßt auch die Lobby der Kinder und Jugendlichen. Erst in den vergangenen Wochen hatte der Bund der Kinder- und Jugendärzte die flächendeckende Ganztagsbetreuung gefordert. Das vom Kanzlerkandidaten der Unionsparteien, Edmund Stoiber (CSU), in Aussicht gestellte Familiengeld in Höhe von 600 Euro pro Monat für jedes Kind unter drei Jahren bewerteten die Ärzte skeptisch. Schließlich könne nicht sichergestellt werden, dass das Geld auch wirklich den Kindern zugute komme.

Kanzler Schröder lehnte das Familiengeld als Wahlkampfgetöse ab: „Das Kindergeld muss schrittweise angehoben werden – alles andere ist nicht bezahlbar.“ Stattdessen sollten Familien mit Kindern künftig mehr steuerliche Vorteile als Ehepaare ohne Kinder haben, Alleinerziehende Betreuungskosten stärker von der Steuer absetzen können, „haushaltsbezogene Dienstleistungen“ wie Babysitten mehr gefördert werden.

Auch für die Frauen hat Schröder sein politisches Herz entdeckt. Noch vor wenigen Monaten war seine Familienministerin mit dem Versuch gescheitert, die Gleichstellung von Frauen in der privaten Wirtschaft gesetzlich festzuschreiben. Jetzt will Schröder den Unternehmen eine Frist setzen: „Wenn das in den nächsten drei Jahren nicht besser wird, dann werden wir handeln müssen und werden das auch tun.“

Im Bündnis für Arbeit will er den Arbeitgebern kräftig ins Gewissen reden: „Flexibilisierung ist keine Einbahnstraße“, mahnte der Kanzler. Wenn Menschen gezwungen seien, sich zwischen Familienleben und Karriere zu entscheiden, „dann läuft was falsch in unserer Gesellschaft“. Die Regierung habe mit dem Teilzeitgesetz den Weg geebnet, jetzt müssten die Unternehmen die Möglichkeiten nutzen.

Der „Politikwechsel zur familienfreundlichen Gesellschaft“ sei geschafft, lobte Schröder sich und den kleinen Koalitionspartner. So sei der Etat der Familienförderung seit dem Machtwechsel 1998 von dreizehn auf 52 Milliarden Euro gestiegen. Johannes Singhammer, familienpolitischer Sprecher der CDU/CDU-Fraktion, kritisierte dagegen, die „rot-grüne Familienpolitik erschöpfte sich in Reparatur- und Verschiebemaßnahmen“.

Beim Publikum im edlen VW-Forum Unter den Linden in Berlin herrschte gestern noch Skepsis. Die Konzentration der Wahlkämpfer auf die Familien habe sie erwartet, meinte eine Vertreterin des Elternverbandes, „schauen wir mal, was nach der Bundestagswahl von den Versprechen übrig bleibt“.