Elektrisches Heidelberg

■ Move D, HAL 9000 und der DJ ND Baumecker demonstrieren am Wochenende, dass Techno eine Geschichte hat

Wenn amerikanische Touristen einen Kurztrip nach Europa buchen, rocken sie in Deutschland meist nur Berlin und Heidelberg herunter. Wenn Technotouristen Deutschland besuchen, bleiben sie meist in der Hauptstadt hängen, aber das ist ein Fehler. Denn wie Italo Calvino sagt, bei jeder Beschreibung einer Stadt müsse er Venedig mitdenken, so ist für neuere elektronische Musik in Deutschland die Verbindung Berlin-Heidelberg kürzer, als es zunächst scheint.

In Heidelberg nämlich gründete David Moufang wenige Jahre nach seinem ersten Besuch des Techno-Clubs Milk sein eigenes Label: Source. Mit seinem Debütalbum Kunststoff erfand er dazu noch die hybride Stilrichtung „armchair techno“. Unzählige Veröffentlichungen, Remixe und Compilationbeiträge später ist Move D, wie er sich forthin nannte, als DJ und Hörspielkomponist weit davon entfernt, als klingender Sesselpupser festgefahren zu sein. Mit Jazzmusikern formierte er die Gruppe Conjoint, und letzte Woche begleitete er mit Hans Nieswandt während der Karlsruher „intermedium2“ das Streitgespräch Thomas Meinecke-Klaus Theweleit über den Sternkönig Sun Ra. Am Wochendende kommt Move D nach Hamburg, um das zehnjährige Bestehen seines Labels zu feiern.

In den 80er Jahren hatte sich auch Andreas Baumecker auf „Musik aus Strom“ geworfen. Als Indierock-Fans noch Skrupel hatten, sich erste HipHop-Platten zu kaufen und lieber mit durchschossenen Smiley-Symbolen auf T-Shirts herumliefen, verbrachte ND Baumecker seine Zeit in London, im Zeichen des „Aciiid“. Der Weg zum DJ war kurz, und trotzdem hat ND viele Angebote von großen Tanzflächen und Weck-Getränke-Events abgelehnt. Jetzt gilt er als ältester Geheimtipp der Plattendrehergilde. Er ist nach Heidelberg gezogen und ist somit nicht mehr nur assoziiertes Mitglied des Play-house-Labels, sondern auch Teil der Source-Familie.

So lange wie Move D und ND schon in Clubs auflegen, also etwa 15 Jahre, so alt klingt die neue EP No Way Back von HAL 9000. Und das ist als Kompliment gemeint. Die Platte scheint Staubgenerationen lang in einem vergessenen Plattenkoffer gewartet zu haben. Der Sound ist mehr Beatbox als Festplatte, und der Gesang von Sylvie Marks besingt mal den traurigen Himmel, dann wieder den treibenden Hintern. Und an seine Wurzeln im Dark Wave erinnert sich das Duo auch noch.

Also: Weg mit den Jacken, her mit den saugfähigen Shirts: Der verdammte Frühling wird herbeigetanzt, mit der Wucht von 15 Jahren elektronischer Musik.

Nikola Duric

HAL 9000 und ND Baumecker: Freitag, 22 Uhr, Tanzhalle St. Pauli; Move D und Tobias Nagl: Sonnabend, 22 Uhr, Las Palmas (Friedrichstr. 26); Move D live: Sonntag, 22 Uhr, Golden Pudel Club