Performance Hähnchengrill

■ Im fünften Teil der Reihe „.plus neue kunst“ des Gröpelinger Lichthauses plündert der isländische Künstler Hlynur Hallsson sein Fotoalbum und bringt Postkarten unter's Volk

Wenn das Publikum nicht zur Kunst kommt, kommt die Kunst zum Publikum. Und das Gemeine ist: Die Kunst gibt sich nicht zu erkennen. Sie kommt nämlich als eine Reihe gewöhnlicher Schnappschuss-Fotos daher. Da steht zum Beispiel ein sympathischer Mensch auf einem Aussichtsturm mit Blick über Hannover – er wird wohl ein Tourist in Niedersachsen sein. Oder zwei blonde Kinder spielen im Sandkasten – das Erinnerungsfoto aus dem Familienalbum. Oder eine Frau radelt von einer Bausstelle weg. Auf der Bautafel steht: Space Park. Wie schön. Endlich etwas zum Wiedererkennen. Endlich eine Chance, sich angesprochen zu fühlen von der Kunst.

Was ist passiert? Nicht viel: Der isländische Künstler Hlynur Hallsson hat sein privates Fotoalbum geplündert, zehn Motive ausgewählt, in die Druckerei gegeben und aus den Fotos Postkarten machen lassen. Dann hat er an zehn Stellen in Gröpelingen und Walle Kartenständer aufgestellt, an denen sich die Passanten bedienen können. „Die Dauer des Projekts wird durch die Nachfrage bestimmt: solange der Vorrat reicht!“ heißt es in dem Flyer zum Projekt. Das eigentlich Künstlerische an dieser Kunst ist ihre Präsentation – und die alte Pop-Art-Idee, den Alltag zur Kunst zu erheben.

Außerdem ist die Kunst zum Mitnehmen gemeint als Update der altehrwürdigen Vision von der Kunst im öffentlichen Raum, und weil die Postkarten als Kunstwerke doch ein bisschen mau sind, versucht man im Flyer, die Postkarten-Kunst auf Teufel komm raus zu erweitern: „Die Kartenständer können auch skuptural verstanden werden – als eine Plastik, die sich im Laufe des Projektes auflöst“. Wow, das rockt. Bei soviel interpretatorischer Fingerfertigkeit geht der schnöde Alltag in die Knie – und es müsste ein leichtes sein, die Bushaltestelle nebenan als Installation und den Hähnchengrill um die Ecke als Performance mit ins Kunst-Boot zu holen.

Aber das passiert natürlich nicht. Vielmehr gehört das Hlynur-Hallsson-Projekt zur engagierten Reihe „.plus neue kunst“, die der Lichthaus-Kurator Horst Griese ins Leben gerufen hat, um auf den Wandel im Umbruch-Stadtteil Gröpelingen künstlerisch zu reagieren. Vergangenes Jahr konzipierte Griese im Rahmen der Reihe vier Ausstellungen, die sich alle mit urbaner Entwicklung beschäftigten. Hallssons Postkarten sind der fünfte Teil der Reihe.

Allerdings ist bei Hlynur Hallsson, der übrigens in Hannover lebt, die urbane Entwicklung kein Thema. Dafür steht im Flyer: „Hallsson variiert Elemente der Kommunikation, das meint: Prozesse, die Einschlüsse und Ausschlüsse gleichermaßen produzieren.“ Aha. Immerhin hat der Künstler auf jede seiner Postkarten in vierzehn Sprachen eine Grundwortschatz-Vokabel geschrieben wie „Willkommen“, „Guten Tag“ oder „Hallo“.

Das ist immer recht freundlich. Schön ist auch, dass die fotografierten Menschen meistens lächeln und gerade nicht arbeiten. Vielleicht beschäftigen sie sich aber trotzdem heimlich zu Hause mit „.plus neue kunst“, also „mit der Analyse der Bedingungen ihrer Produktion wie Präsentation “ – wer weiß das schon? Falls ja, dann möchte man ihnen mit dem Postkartenmotiv Nummer sechs in vierzehn Sprachen zurufen: „Alles Gute“.

Klaus Irler