Filme aus dem Archiv – Frisch gesichtet

Rund zehn Jahre hatte sich Michael Caine bereits in Statisten- und Nebenrollen durch Britanniens Filmwelt geschlagen, als ihn die Rolle des stoischen Geheimagenten Harry Palmer in Sidney Furies „The Ipcress File“ doch noch zum Star machte. Palmer war der perfekte Antipode zu James Bond: kein weltgewandter Lebemann, der zwischen Bahamas und Bermudas hin- und herjettet, um die Welt zu retten, sondern ein kurzsichtiger Beinahe-Normalo mit Cockney-Dialekt, der gern kocht und in London in eine verwickelte Affäre verstrickt wird, die einen Doppelagenten in der eigenen „Firma“ entlarven soll. Er sei „arrogant, renitent, undurchsichtig“ und besäße „kriminelle Neigungen“, steht in Palmers Personalakte zu lesen – tatsächlich werden ihm diese Charaktereigenschaften und Neigungen in dem klaustrophobisch-düsteren Spionagethriller noch gut zupass kommen.

Eine vom British Council und dem Kino in den Hackeschen Höfen initiierte kleine Filmreihe zeigt Michael Caine in einigen seiner bekanntesten Rollen („Alfie“, 29. 4.) und präsentiert noch vor dem deutschen Kinostart die neueste Produktion „Last Orders“ (3. 4.), in der er als – bereits verstorbener – Metzger auftritt.

„Ipcress – Streng geheim“ (OF) 28. 3. in den Hackeschen Höfen 5

***Filmproduzenten bilden sich ja gerne ein, sie wüssten, was das Publikum bewegt. Doch Irving Thalberg, Mitte der 30er-Jahre Produktionsleiter bei MGM, lag zumindest einmal völlig daneben: „Vergiss es. Bürgerkriegsfilme haben noch nie einen Nickel eingespielt“, meinte er verdrossen, als Studiochef Louis B. Mayer 1936 die Rechte an Margaret Mitchells Südstaatenmelodram „Vom Winde verweht“ erwerben wollte. Die Konkurrenz in Gestalt von David O. Selznick besaß den besseren Riecher: Seine 65.000 Dollar erwiesen sich als gut angelegt, denn die melodramatische Geschichte der egozentrischen Südstaatenschönheit Scarlett O’Hara, die mit ihrem schieren Überlebenswillen zwar den Bürgerkrieg übersteht, aber die mögliche große Liebe ihres Lebens immer wieder verpasst, verkaufte sich urplötzlich besser als die Bibel. Allerdings dauerten die Vorbereitungen für den Film Jahre, verschlissen diverse Drehbuchautoren und brachten – aufgrund der immensen Kosten – schließlich auch MGM als Produktionspartner zurück ins Geschäft. Die Suche nach der Besetzung der Scarlett gestaltete Selznick derweil als überaus werbeträchtiges Ausscheidungsspektakel, aus dem die Britin Vivien Leigh als „Siegerin“ hervorging. Doch kaum war die richtige Scarlett gefunden, gab es Probleme mit der Inszenierung: „Frauen“-Regisseur George Cukor wurde zum Entsetzen Leighs nach kurzer Zeit von Clark Gables Männerfreund Victor Fleming ersetzt, der seinerseits später einen Nervenzusammenbruch erlitt und vorübergehend Sam Wood Platz machen musste. Herr des Chaos aber blieb Selznick, der mit seiner Großproduktion eines der besten Beispiele dafür gab, was Hollywoods Studiosystem in seinen Glanzzeiten leisten konnte: handwerklich perfekte Unterhaltung zwischen intimem Melodram und epischer Action, Kitsch und Kunst gleichermaßen, gepaart mit einem guten Schuss Besessenheit und Größenwahn. Und natürlich ist „Vom Winde verweht“ auch einer der schönsten Technicolor-Filme: Die blutroten Dekorationshimmel und Matte-Paintings vom brennenden Atlanta suchen in purer Dramatik ihresgleichen.

„Vom Winde verweht“ 1. 4. im Arsenal 1

***Ein wenig intimer geht es in Michael Powells und Emeric Pressburgers „A Canterbury Tale“ (1944) zu: Die im England des Zweiten Weltkriegs spielende Geschichte erzählt vom mysteriösen „Glueman“, der den Frauen, die in der Nähe von Canterbury mit Soldaten ausgehen, des Nachts Leim in die Haare gießt. Als er schließlich entlarvt wird, stellt er sich als ein etwas überheblicher Idealist heraus, der das Interesse der vergnügungssüchtigen jungen Leute auf Geschichte und Mythologie Canterburys zu lenken sucht. Wie alle Powell/Pressburger-Werke aus der Zeit des Krieges ist auch „A Canterbury Tale“ ein überaus seltsamer „Propagandafilm“: mit interessanten, nie ganz eindeutigen Figuren und geprägt vom Wunsch nach Verständigung der Völker (hier sind es Briten und die in England stationierten Amerikaner).

„A Canterbury Tale“ (OF) 30. 3. im Arsenal 2

LARS PENNING