ANGST VOR MURDOCH: FEHLGESTEUERTE MEDIENPOLITIK
: Dilettierende Wildhüter

Wer ganz genau lauscht, der kann jetzt die letzten Körnchen durch die Sanduhr rieseln hören. Die Ära des Leo Kirch läuft aus. Mit dem Kollaps dieser Säule zerbricht auch endgültig das behagliche Quartett derer, die den deutschen Fernsehmarkt bisher so schön einvernehmlich unter sich aufgeteilt hatten. Die beiden öffentlich-rechtlichen Akteure ARD und ZDF, Bertelsmanns RTL – und Leo Kirchs Familie aus Sat.1, Pro 7 et cetera. Letztere wären nun nicht mehr in „nationaler Hand“, sondern dem finanziellen Kalkül und der betriebswirtschaftlichen Kompetenz zweier weltweit erfolgreicher Medienunternehmer ausgeliefert – Rupert Murdoch und Silvio Berlusconi.

Schon meldet sich die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di mit der Forderung, den Jobs der Kirch-Mitarbeiter müsse „höchste Priorität eingeräumt werden“. Schon fürchtet die SPD den Einfluss aggressiver ausländischer Unternehmer. Nun lag auch Leo Kirch, einem aggressiv auftretenden einheimischen Unternehmer, nichts ferner als die Sorge um die Jobs seiner Mitarbeiter. Brachial auftreten wird nun der multinationale Medienmogul Murdoch, etwas diskreter agieren muss der italienische Medienministerpräsident. Beide profitieren sie von einem medienpolitischen Milieu, das in Bayern etwa über die Landesbank einen kranken Kirch-Konzern so lange gepäppelt hat, dass es jetzt überhaupt noch etwas zu holen gibt; von einem Milieu, das konsequent Medien- mit Personal- und Standortpolitik verwechselt hat. Mit dem Ergebnis, dass von allen Privaten in Deutschland nur RTL, Kabel 1 und Pro 7 schwarze Zahlen schreiben – alle anderen leben davon, dass der Markt bisher umzäunt war wie ein Reservat.

Dass Politiker und Bankiers hier den Eindruck dilettierender Wildhüter hinterlassen, haben die letzten Wochen hinreichend bewiesen. Dass dagegen ein Rupert Murdoch wissen könnte, wie man im Fernsehen Geld verdient, liegt auf der Hand. In der Vergangenheit hat er schon mehrfach versucht, in Deutschland Fuß zu fassen. Jetzt, da er drin ist, wird er bald ein paar Wände einreißen, anbauen, seine Satellitenschüssel aufs Dach setzen und vielleicht sogar ein funktionierendes Pay-TV etablieren. Kein Wunder, dass dieser frische, globale Wind den verschreckten Altmietern nicht behagt – es ist der gravierendste Umbruch im deutschen Fernsehmarkt seit Einführung der Privatsender. Dieses Jahr wird spannender, als es das TV jemals war. Weil es um die Frage geht, ob sich die demokratischen Medien als unabhängig, frei und glaubwürdig behaupten – oder vor der Erosion stehen. Die Sanduhr läuft weiter. ARNO FRANK