Der Frieden geht jetzt auch Online

An ihre erste Demonstration kann sich Laura Freiin von Wimmersperg kaum noch erinnern. „Es war eine Vietnam-Demo.“ Die Notstandsgesetze und die Kampagne der Axel-Springer-Zeitungen gegen Rudi Dutschke nennt die 67-Jährige mit den weißen Haaren als Beginn ihrer Politisierung. Seitdem ist die gebürtige Schlesierin gegen so vieles auf die Straße gegangen, dass sie längst den Überblick verloren hat. Gegen Bomben in Vietnam, den Golfkrieg, das öffentliche Auftreten von Neofaschisten, den Krieg im ehemaligen Jugoslawien, die Nato-Osterweiterung, die Bundeswehr als Interventionsarmee.

Während viele Friedensaktivisten der Straße den Rücken gekehrt haben, hat von Wimmersperg auch dieses Jahr wieder den Berliner Ostermarsch vorbereitet. Solange sie gesund ist, wird sie auch weiterhin jeden ersten Sonntag im Monat zu den Versammlungen der Friedenskoordination gehen, Aufrufe verfassen, Geld für Druckkosten eintreiben und in ihren altmodischen Karteikästen mit etwa 500 Telefonnummern wühlen. Wenn sie Pech hat, bleibt sie auf hohen Telefonrechnungen sitzen. Dann backt sie in ihrer Altbauwohnung in Schöneberg Kuchen und verkauft ihn auf der Straße.

All das macht sie, weil sich Laura von Wimmersperg verantwortlich fühlt für eine Welt ohne Krieg. Weil sie zornig ist „über die Verhältnisse, die uns aufgezwungen werden“. Weil sie ihren Senf dazugeben will, und weil sie nicht weggucken will. „Meine Erfahrung mit der Verdrängung hat mich viel nachdenken lassen.“ Erst sehr spät wurde ihr klar, was es bedeutete, wenn ihre Mutter sagte: „Vati ist in Auschwitz auf Geschäftsreise.“ Eine Psychoanalyse, Freunde und Literatur über den Nationalsozialismus halfen ihr, damit klarzukommen: Ihr Vater, den sie sehr gemocht hat, hat in Auschwitz im Auftrag einer Baufirma vermutlich Baracken errichtet.

Ihr Fazit nach 20 Jahren Friedensarbeit fällt nüchtern aus. „Wir machen uns keine Illusionen mehr. Wir paar Leute können nicht groß was bewegen.“ Von Wimmersperg spricht von „harten Niederlagen“: „Viele lassen sich enttäuschen von den Kriegseinsätzen.“ Deshalb setzt sie auf Seminare, in denen „große Zusammenhänge geschaffen werden“. Damit will sie die Vision der Vision einer Welt ohne Krieg aufrecht erhalten. Gerne zitiert sie einen Satz eines Mitstreiters. „Es gilt, die Glut über die Zeit zu tragen.“ Die langjährigen Aktivisten, die ihr zum Teil zu Freunden geworden sind, will sie nicht enttäuschen. Deshalb unterdrückt sie ihre „tendenzielle Lust“, mehr zu fotografieren oder ein Kinderbuch zu schreiben.

Die Straße teilt sich von Wimmersperg mit Menschen zwischen 20 und 85 Jahren, die meisten aus der Mittelschicht. Das Gros sind „wir alt Gewordenen“. Bei aktuellen Themen oder Aktionen mit Happeningcharakter sind auch junge Leute dabei, die sich von den intellektuellen Auseinandersetzungen aber fern hielten. „Das geht denen auf die Nerven.“ Doch von Wimmersperg, die selbst nie heiratete und keine Kinder hat, ist froh, wenn sich junge Leute überhaupt engagieren – egal, ob kurz oder lang.

Wer glaubt, dass die alten Friedensaktivisten das Internet scheuen, hat sich getäuscht. Die Berliner Friedenskoordination hat eine eigene Homepage (www.friko-berlin.de). Von Wimmersperg nutzt das Netz zur Weitergabe von Informationen. Online-Demonstrationen steht sie jedoch skeptisch gegenüber. „Wenn die wirkungsvoll wären, müsste man sich vielleicht nicht die Sohlen ablatschen.“ Sie setzt auf die persönlichen Begegnungen auf der Straße und sieht das moderne Medium nicht als Konkurrenz.

Laura von Wimmersperg glaubt nicht, einer aussterbenden Spezies anzugehören, auch wenn sie jedes Jahr den Niedergang der Friedensbewegung erklären muss. „Wir sind nicht das Feigenblatt der Nation“, schimpft sie. Doch sie weiß, dass die Friedenskoordination „irgendwann überflüssig sein wird“. Und für diesen Fall hat sie eine Vision: „Dann wird es eine andere Gruppe geben.“