Selbstamputation gefordert

■ Unterbringung für minderjährige Flüchtlinge: Behörde schiebt Verantwortung ab

Der Besuch kam unangekündigt: 30 BetreuerInnen minderjähriger, unbegleiteter Flüchtlinge verschafften sich am Donnerstag Zugang zur Sitzung der Koordinierungsgruppe Jugendhilfe im Behördenzentrum Hamburger Straße. Das Thema der Zusammenkunft, die dadurch eine Viertelstunde lang gestört wurde, ist brisant: Es geht um die vom Amt für Jugend geplante Billig-Betreuung junger Flüchtlinge.

Rund 100 sogenannte Erstversorgungsplätze für minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge, die die Stadt monatlich 130.000 Euro kos-ten, seien nicht belegt, erklärte Günter Finke, leitender Mitarbeiter des Amtes für Jugend, den ungebetenen BesucherInnen. Damit seien nur 57 Prozent der vorhandenen Kapazitäten ausgelastet. Diese 130.000 Euro, so Finke „können und müssen wir sparen“.

Hintergrund der Zahlen: Durch die verschärften Altersfestsetzungen der Ausländerbehörde, aufgrund derer die Altersangaben von Flüchtlingen regelmäßig nach oben korrigiert werden, kommen immer weniger junge Flüchtlinge in die Erstversorgung für Minderjährige.

Das Amt für Jugend plant nun, die verwaisten Plätze zu füllen, indem die ausländischen Jugendlichen in Zukunft dauerhaft in den Erstversorgungseinrichtungen verbleiben. Diese „Übergangsheime“ für bis zu 60 Jugendliche, sind bislang nur als erstes Auffangbecken für jugendliche Flüchtlinge konzipiert, in denen sie „geparkt“ werden, bis über eine weitere Unterbringung entschieden ist. Danach werden unbegleitete junge Flüchtlinge oft in überschaubaren und gut betreuten Jugendwohnungen untergebracht, bei denen einE PädagogIn durchschnittlich 2,14 Jugendliche betreut. Aufgrund der Sprach- und Integrationsprobleme und dem fehlenden familiären Hintergrund der Jugendlichen wurde ihnen der für diese Unterbringung notwendige „erhebliche erzieherische Bedarf“ bislang mitunter at-testiert.

In Zukunft aber sollen minderjährige Flüchtlinge prinzipiell keine dieser Intensiv-„Hilfen zur Erziehung“ in Jugendwohnungen mehr erhalten, sondern eine personell abgespeckte Hilfsvariante in den Erstversorgungseinrichtungen. Im Klartext bedeutet der Behördenvorstoß, dass unbegleitete Flüchtlinge erstmals ein wesentlich schlechteres Jugendhilfeangebot erhalten als deutsche Jugendliche. „Eine intensive Betreuung der Minderjährigen ist hier überhaupt nicht möglich“, beklagt Daniel Manwire, Sprecher der in der Hamburger Straße unangemeldet aufgelaufenen PädagogInnen.

Das sah auch Amtsmann Günter Finke am Donnerstag schließlich ein. Den Schwarzen Peter schob der BehördenmitarbeiterInnen nun aber den Trägern der Flüchtlingsbetreuungsmaßnahmenzu. Sie sollen bis Anfang übernächster Woche jetzt selber ein abgespecktes Betreuungskonzept entwickeln, dass den Sparvorgaben der Behörde folgt. Damit dies auch geschieht, hält das Amt für Jugend einen prima Faustpfand in der Hinterhand: Die Zuwendungsbescheide für alle Erstversorgungseinrichtungen laufen zum 31. März aus.

Neues Geld gibt es womöglich erst, wenn die Träger ihre Selbstamputation erfolgreich in eigene Hände genommen haben.

Marco Carini