berliner szenen Die Osterbotschaft 2002

Rucken wir’s an!

Klasse! Zu Ostern gibt es nicht nur die neue Frühjahrsgarderobe, sondern auch eine neue Geisteshaltung! Im U-Bahnhof Zoo hängt neben der Werbung für die Modefummel der Saison eines der 52.000 Plakate mit der diesjährigen Osterbotschaft. „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen“, steht da und Exbundespräsident Herzog schaut uns mit maliziösem Blick in die Augen. „Worauf warten wir noch?“, fragt er und fordert: „Packen wir’s an!“

Warum „ein Ruck“ durch Deutschland gehen „muss“ und was „es“ ist, das wir anpacken sollen, bleibt unklar. Unterzeichnet und finanziert wird die rätselhafte Botschaft von einer Reihe deutscher Medien- und Wirtschaftsunternehmen, die den Rest ihrer Predigt auf einer eigenen Website veröffentlichen. Dort klagt man: „Die Deutschen scheinen in einem lähmenden Gefühl der Machtlosigkeit, der Ängstlichkeit, sogar der Gleichgültigkeit zu versinken“, weshalb „jeder Einzelne aufgefordert“ ist, „Verantwortung und neue Aufgaben zu übernehmen, zu Hause, am Arbeitsplatz, in Deutschland und in der Welt“.

Nein, nein, das ist kein Spendenaufruf für die Bundeswehr. Anpacken kann jeder! Verbraucher sollen sich „nicht von Zukunftsängsten leiten lassen, sondern sich unverändert das leisten, was sie sich schon lange gönnen wollten.“ Also packen wir es an, unser Portemonnaie, und das Sparbuch gleich mit! Konsumverweigerung? Sparzwang? Gilt nicht! „Jedes Mittel, das die Deutschen aus dem drohenden Fatalismus, der Lähmung, dem Unmut aufrüttelt, ist uns recht!“ Dafür wird demnächst auch der erste „Anpacker der Woche“ ernannt. Bis jetzt hat man noch keinen gefunden, aber bestimmt kann die Schufa helfen und geeignete Kandidaten vorschlagen.

ANTJE KRASCHINSKI