Aus der Puste gekommen

Die fahrradfreundliche Mitte lässt auf sich warten. Der Bund und eine Bestandsanalyse sollen helfen

Der Bezirk ist finanziell absolut nicht in der Lage, ein Fahrradprogramm aufzulegen

Pfeifende Politiker auf dem Fahrrad unterwegs im Regierungsviertel. Von den Abgeordnetenbüros im Jakob-Kaiser-Haus schnell zur Parlamentssitzung und zurück. So stellte man sich 1995 die Berliner Mitte für 2002 vor. Die Radwege sollten sicher sein, modernen Planungskriterien entsprechen und die Ampeln radlerfreundlich schalten.

Der damalige Verkehrsminister Klaus Töpfer (CDU) und sein Nachfolger Matthias Wissmann versprachen, für die notwendigen Maßnahmen zu sorgen.

Doch aus der Radler-Oase wurde nichts. Es mangelt an Radwegen, weshalb der tägliche Arbeitsweg für Politiker und Angestellte ein hartes Brot ist. Für Susanne Henk, Mitarbeiterin des SPD-Abgeordneten Hubertus Heil, ist der morgendliche Weg zur Arbeit oft genug ein Wald- und Wiesenlauf. Vom Tiergarten kommend beginnt am Bundeskanzleramt das Chaos. „Wegen der Baustellen muss ich auf dem Gehweg fahren“, klagt Henk. Jeden Morgen hangelt sie auf dem Mittelstreifen vor dem Paul-Löbe-Haus wie auf einem Zirkusseil, um zu ihrer Arbeitsstelle abzubiegen. Immerhin seien die Polizisten kulant, weil sie die Probleme kennen.

Die bestehen darin, dass die Radwege ständig von Baustellen unterbrochen werden oder im Nichts enden, sodass man auf die gefährliche Straße oder den Gehweg ausweichen muss. „Es gibt zu wenig markierte Wege und keine Überleitungen zum nächsten Radweg“, sagt Henk. „Nur Teilstücke des geplanten Wegenetzes sind fertig geworden, etwa das obere Drittel der Wilhelmstraße“, erklärt der verkehrspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus, Michael Cramer. Wann der Rest der Wilhelmstraße bis Kreuzberg fertig wird, ist unklar.

Auch im Bereich der Friedrichstraße und Invalidenstraße oder auf dem Charité-Gelände ist bislang keine Lösung in Sicht. Immerhin sind in den letzten zwei Jahren Abstellplätze an Reichstag, Bürogebäuden und Bundesministerien errichtet worden. „Aber das bringt nichts, wenn infrastrukturell nichts passiert“, kritisiert der Fahrradbeauftragte des Senats und ADFC-Landesvorsitzende Michael Föge.

Diesem Missstand wollte die rot-grüne Übergangsregierung mit einem Fahrradprogramm in Höhe von 2,5 Millionen Euro begegnen. Die rot-rote Koalition hat den Haushaltstitel zwar übernommen, muss ihn aber aufgrund der Haushaltssperre bis Herbst auf Eis legen. „Die Spielräume sind enger geworden, aber in der Koalition besteht Konsens über die Notwendigkeit des Programms“, sagt die verkehrspolitische Sprecherin der PDS, Jutta Mattuschek. Das bestätigt auch Stefanie Landgraf, Referentin der Verkehrsstaatsekretärin Maria Krautsberger: „Der Ausbau der Radwege bleibt nicht nur in Mitte, sondern in ganz Berlin Schwerpunkt.“

Das Bundesverkehrsministerium ist der gleichen Meinung. Deshalb hat es jetzt in Zusammenarbeit mit dem Senat für Stadtentwicklung zwei Ingenieurbüros beauftragt, in einer Bestandsanalyse Defizite aufzuzeigen und Lösungsvorschläge zu liefern. Abstellanlagen werden gezählt, Wegenetze überprüft und sechs Ministerien befragt, um die Vorschläge der Mitarbeiter zu sammeln. Aus dem Ergebnis werden die nötigen Kosten berechnet, um die Baumaßnahmen durchzuführen, was dann mindestens ein weiteres Jahr in Anspruch nimmt.

Trotz der erneuten Verzögerung begrüßt Harald Büttner, Leiter des Straßen- und Grünflächenamtes des Bezirks Mitte, das Einschalten des Bundesverkehrsministeriums, „denn der Bezirk ist finanziell absolut nicht in der Lage, ein Fahrradprogramm aufzulegen, obwohl die Innenstadt nicht zuletzt wegen der vielen Studenten Lösungen braucht.“

Die Hauptgründe für den langsamen Radwegeausbau sieht Heribert Guggenthaler, Referatsleiter für Straßen in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, in dem Autotunnel unter dem Viertel sowei bei den Bauarbeiten am Lehrter Bahnhof. „Sobald diese Projekte fertig gestellt sind, könnte endlich ein Radwegenetz in Mitte realisiert werden“, hofft Guggenthaler. Vor allem die Uferwege stehen an, der Mauerradweg sowie die Verknüpfung der durch die City führenden Europaradwege. Diese Projekte könnten erst nach dem Ergebnis des Gutachtens starten, obwohl nach neuesten Studien allein den Pariser Platz täglich 7.000 Drahtesel kreuzen.

Der Münchner Abgeordnete Christoph Moosbauer (SPD) beobachtet jedoch, „dass die meisten Kollegen das Radeln aufgegeben haben, und wer sich noch durchkämpft, der pfeift längst nicht mehr dabei“.

HANS-CHRISTOPPH STEPHAN