Der weite Weg zur Tour

Das Radteam Coast liegt derzeit vor Team Telekom. Nur nimmt das keiner wahr

KÖLN taz ■ Was eigentlich ist ein Heimrennen? Wenn eine Radsportgruppe, deren Geldgeber in Essen residiert, bei „Rund Um Köln“ antritt, scheint der Fall ziemlich klar. Dass das Team Coast den Auftritt vor der Haustür im ersten Jahr als GS-1-Mannschaft nicht zur Profilierung genutzt hatte, war im Vorjahr noch Gegenstand heikler Diskussionen. Noch bevor er die Funktion offiziell eingenommen hatte, verbreitete Coast-Sprecher Marcel Wüst Unmut ob der verpassten Chance, sich telegen in Szene zu setzen. Derweil warb die sportliche Leitung in personam Wolfram Lindner um Verständnis für die dürftige Performance vor laufender TV-Kamerra und verwies auf den Terminkalender. Dort war „Rund Um Köln“ im letzten Jahr nur einen Tag nach der Weltcup-Tortur „Paris–Roubaix“ und parallel zur Baskenland-Rundfahrt platziert. Das Team, so Lindners Fazit, müsse erst mal und „vor allem im Mittelfeld“ verbessert werden, „dann können wir da auch mal mit der zweiten Reihe besser aussehen“, so Lindner.

Die B-Garnitur von Coast soll es nun am Ostermontag tatsächlich richten. Neben Raphael Schweda und Sascha Henrix werden gleich noch vier weitere deutsche Coast-Profis am Start stehen, „von denen jeder eine reelle Chance hat, das Rennen zumindest mitzubestimmen“, wie Marcel Wüst glaubt. Die starke spanische Fraktion bei Coast bleibt derweil lieber in der Heimat. „Dieses Rennen ist für einen Angel Casero ungefähr ähnlich geeignet wie Paris–Roubaix für Jan Ullrich“, wirbt der ehemalige Festina-Profi Wüst um Verständnis für die Absenz des letzten Vuelta-Gewinners. Auch die „Charakteristik“ des wiedererstarkten Alex Zülle oder eines Fernando Escartin vertrage sich nicht mit dem welligen Profil des deutschen Traditionskurses.

Ist das Rennen am Montag also wirklich ein Heimrennen für den Essener Stall – oder nicht doch eher die „Katalanische Woche“? „Jedem sportbegeisterten Spanier“, sagt Wüst, sei die Marke Coast „schon jetzt ein Begriff“. Davon kann im Lande Ullrichs noch keine Rede sein, obwohl die Mannschaft nach frühen Saisonerfolgen in Katar, Portugal und Spanien als bestes deutsches Team auf Platz vier der Weltrangliste und somit immer noch vor Team Telekom rangiert; nur wisse das „kein Schwein“, wie Wüst beobachtet hat. Denn während jedes Wehwechen von Ullrich und jeder Sprint von Zabel prompt vermeldet wird, findet Wüst die Medienresonanz über Coast zwar leicht verbessert, doch angesichts der erfreulichen Zwischenbilanz im Grunde „erbärmlich“.

Besser dürfte es für Team Coast künftig nur über die ersehnte Teilnahme am „großen Multiplikator“ (Wüst) Tour de France werden.Kaum einer weiß das besser als der ehemalige Topsprinter Wüst, dessen Sprintsiege bei Vuelta und Giro d’Italia hierzulande auch erst richtig anerkannt wurden, nachdem er endlich seine erste Tour-Etappe gewonnen hatte. Doch Wüst weiß auch, dass es noch ein weiter Weg ist bis zur Wildcard-Vergabe Anfang Mai. Ein Weg, der im April auch die „eher Rundfahrermannschaft“ Coast zu den harten Eintagesklassikern in Belgien, Frankreich und Holland führen wird. Dort heißt es, „gegenzuhalten“ – und nicht zu weit abzurutschen. Auf einem fünften oder sechsten Platz in der Weltrangliste wäre Coast selbst in der großen Tour-Nominierungslotterie kaum zu ignorieren. Ganz egal, wie sich das Team bei „Rund Um Köln“ präsentiert hat. JÖRG FEYER