Bröselnde Briefbeschwerer

■ Findige Bremer Archäologen machen mittelalterliches Pflaster zu Geld. Und bieten BremerInnen offenbar historisches Vergnügen und eine eigenwillige Deko-Idee

Die ältere Dame scheint erregt. Zwischen all den umstehenden Menschen findet sie nicht so recht ans Ziel. „Kann ich bei Ihnen einen Stein erwerben?“, fragt sie. Nein. Doch der Finger weist ihr die Richtung. „Ach Gott, da durch?“. Auf der anderen Seite der Menschentraube treffen wir sie wieder: Über einen schwarzen Plastikkübel gebeugt begutachtet sie die steinerne Auswahl. „Etwas größer könnten die schon sein“, so ihr Kommentar zu den zwiebelgroßen Überresten Bremer Stadthistorie. Sogleich springt ihr Dieter Bischop, Ausgrabungsleiter auf dem Bremer Markt, zur Hilfe: „Sehen Sie, die hier sind gewaschen“, sagt er und schiebt mit dem Fuß einen weiteren Kübel Steingut über das Kopfsteinpflas-ter. Prüfend wandern auch die Blicke der anderen Interessenten herüber. „Was soll denn ein Stein kosten?“, fragt einer. „Fünf Euro“, so Bischops knappe Antwort, „und“, fügt er schnell hinzu, als müsse er für Bremer Bodenschätze noch werben, „die sind mindestens aus dem 14. Jahrhundert“.

Der Verweis auf Bremens altes Innenstadtpflaster, das Archäologen einen Steinwurf vom Rathaus entfernt seit Wochen Schicht um Schicht freilegen, scheint überflüssig. Die Klümpchen wechseln bereitwillig den Besitzer, haufenweise. „Bestimmt an die 200 haben wir nach ein paar Stunden verkauft“, freut sich Bischop über den reißenden Absatz.

„Das Geld fließt direkt in die Grabung, denn unsere Mittel hier sind nicht so berauschend“, sagt Bischop. Die MitarbeiterInnen des Bremer Landesarchäologen Manfred Rech, die hier beflissen Stein um Stein in durchsichtiges Plastik eintüten, haben sprichwörtlich ein Business aus dem Boden gestampft. „Hunderte“, schätzt Bischop, sind am Donnerstag, dem ersten Verkaufstag erschienen.

Zwei Schritte vom Verkaufstreiben entfernt pulen zwei Kollegen vorsichtig mit dem Spaten im schwarzen Grund der Ausgrabungsstelle und sorgen für Nachschub. Ihre weißen Bauarbeiterhelme tanzen knapp oberhalb der Erdoberfläche. Auch hier drängen sich Neugierige an das Gitter der Absperrung. Schweigend, fast andächtig, schauen die BremerInnen in die Grube. Denn jeder Zentimeter steht für Stadtgeschichte. „Schließlich sind das Steine aus dem ersten Bremer Pflaster, das gibt den Leuten den historischen Kick“, erklärt sich Bischop den Andrang. Spätestens seit die Ausgrabung kürzlich neben Feuerstein, Rehburger und Obernkirchner Sandstein auch Tierknochen und Lederreste ans Tageslicht brachte, ist das Interesse für die Ahnen wieder hellwach: „Auch die Zeitschriften gehen weg, wie warme Semmeln“, berichtet Bischop und deutet auf die „Bremer Archäologischen Blätter“. Mehrere Bände Fachwissen stehen in Kisten neben den Steinkübeln, „heute zum halben Preis“, also auch fünf Euro.

„Der Landesarchäologe, seine Mägde und Knechte haben gar einzigartigen Pflaster erkundet“, so steht es geschrieben auf dem Zertifikat, das zu jedem gekauften Stein gereicht wird und diesem seinen historischen Glanz verleihen soll. „Sonst könnte das ja irgendein Stein sein“, meint Bischop. Stimmt. Friederike Pollok hat auch so ein durchsichtiges Plastiktütchen. „Für meinen Lebensgefährten, der ist nämlich Bremen-Patriot“, erklärt sie. Weil sie nicht so viel Zeit hat, auf neue Entdeckungen der Stein-Buddelei zu warten, „habe ich einen aus der oberen Schicht genommen, 14. Jahrhundert, glaub ich“.

Auch die ältere Dame ist fündig geworden. Und wozu so ein Stein? „Na, sowas ist doch schön“, erklärt sie, „vielleicht in den Garten oder als Briefbeschwerer“.

Daniel Satra