Speer tänzelt, Hitler glubscht

Am Potsdamer Hans Otto Theater inszenierte Alexander Lang die deutschsprachige Erstaufführung von „Albert Speer“

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Lustig sind sie, unsere Nazis vom Stadttheater: Sieht man doch gleich an der verqueren Körperhaltung, dass die nicht ganz bei sich sind und Teile ihres Denkvermögens womöglich mit Absicht verlegt haben. Wie sie kaum zu atmen wagen, geschweige denn von ihren Sülzkoteletts abbeißen in der Gegenwart des allmächtigen Vegetariers Hitler. Muss man nicht schrumpeln vor seinem Blick, die Augen quellen ihm fast aus den Höhlen. Acht Meter lang ist der Tisch, von einer roten Fahne bedeckt, aber Gauleiter Hanke, Stellvertreter Hess und Minister Fritz Todt quetschen sich hinter dem Führer zusammen wie die Kriechtiere, die seine Wärme brauchen. Igitt!

Speer sitzt dabei, aber Speer ist von anderem Format. Das will uns das Stück „Albert Speer“ nahe bringen, das der englische Autor David Edgar auf der Basis des Materials geschrieben hat, das Gitta Sereny, Biografin Speers, in Gesprächen zusammengetragen hat. Speer hat Charme, er tänzelt leichtfüßig die Nordsüdachse für die Neuordnung der Hauptstadt Germania entlang, so locker, wie er einst an Wandertagen mit seiner Grete über Bachbetten sprang. Unbeschwert, aufbruchwillig, Neues suchend. Natürlich wissen wir, die Zuschauer, dass die Zukunft, an der er mit dem Eifer eines großen Jungens bastelt, eine Mordmaschinerie war. Schließlich wird gleich zu Anfang des Stücks die Verkündung seines Urteils in den Nürnberger Prozessen aus dem Off eingespielt: Organisation des Angriffskrieges, der Zwangsarbeit und der Deportationen. „Nein“, brüllt er auffahrend und beginnt mit jener Fröhlichkeit auf den Zehenspitzen zu wippen, die ihn den ganzen Abend nicht verlassen wird, „nein, ich bin Architekt.“

Wäre er nicht so ein Organisationstalent, das ist der Tenor seiner Erinnerung, wäre die ganze Sache nicht passiert. Aber wer nachts den feuchten Putz in einer für Goebbels umgebauten Villa trocken föhnt, um termingerecht fertig zu werden, der kann auch komplizierteren Aufgaben nicht widerstehen. Arbeitskräftemangel in der Rüstungsproduktion? Eine Frage der Ressourcenumverteilung und des Fahrplans. Fast ein rein mathematisches Problem. Dass andere dann später von der Verantwortung für Vernichtung durch Arbeit in den Konzentrationslagern reden, er versteht es, ja. Aber er hat eben zu spät genau hingesehen.

In den Dialogen zwischen Speer und Hitler wird der Faschismus als Frage der Ästhetik und Hygiene abgehandelt. Hitler ist von Speer begeistert, weil seine Visionen für die Zukunft selbst die überwältigende Größe der Ruinen eingeplant haben, die einmal alles sein werden, was von Germania bleibt. Der Krieg kündigt sich als musikalisches Ereignis an; Bauherr und Architekt weiden sich an der Fantasie, wie großartig die Namen der toten Kriegshelden in Stein sein werden.

Über drei Stunden muss man diesem Rückblick folgen und weiß nicht, was man schrecklicher findet: die Inszenierung als Komödie oder den biografischen Ansatz des Dramas. Das wird von der Frage bewegt, wie der Mensch Speer mit seiner Schuld lebte. Wie konnte er so perfekte Verdrängungsleistungen erbringen, die in den Ausmaßen seinen megalomanen Entwürfen in nichts nachstehen? War die fehlende Liebe der Mutter schuld? Zweifelsohne ist Speer ein interessantes Objekt für Studien über Blockaden, man sieht sie ja förmlich überall aus dem Boden schießen, die Mauern, die er hochzog. Dennoch ist die Behandlung des Faschismus als psychologische Fallgeschichte auf die Dauer eine Zumutung.

Das Profil des Täters hat sich gut vermarktet. Viele Stunden widmeten Leser seiner Geschichte, in Speers Fassung zuerst und auch in der seiner Biografen. (Ob diese Klientel genau so dicke Bücher über die Opfer gelesen habe, würde man irgendwann gerne wissen.) Auch Edgars Stück thematisiert, wie Speer mit seinen Memoiren reüssierte. In dieser Zeit trat Gitta Sereny auf den Plan, mit dem Ehrgeiz einer Therapeutin und dem Masochismus einer Beichtmutter. Sie hörte Speer zu, vier Jahre lang, interessiert an seinem „Gewissen“: „Die Ambivalenz zwischen seinem moralischen Bedürfnis, sich der lange verdrängten Schuld seines Gewissens zu stellen, und dem überwältigenden Drang, dieses Wissen zu bestreiten oder zu ‚blockieren‘, war das große Dilemma seines Lebens.“

Das Hans Otto Theater in Potsdam mag gehofft haben, mit diesem politischen Stoff und seiner Behandlung als Komödie einen ähnlichen Coup zu landen wie George Tabori mit „Mein Kampf“. Götz Schubert, der dem geltungssüchtigen Architekten mit Ironie beizukommen sucht, hat am Gorki-Theater lange als „Hitler“ in „Mein Kampf“ gespielt. Auch der Regisseur Alexander Lang ist für das Hans Otto Theater ein Gaststar. Aber ihr Ziel, zur Diskussion um den Nationalsozialismus beizutragen, erreichen sie nicht. Zu weit bleibt die Inszenierung zurück hinter dem dokumentarischen und künstlerischen Umgang mit den zweifelhaften Quellen der Zeugnisse der Täter.

„Albert Speer“. Hans Otto Theater Potsdam, Reithalle in der Schiffbauergasse, 2. und 23. April, 19.30 Uhr