VIELE OSTERMARSCHIERER HABEN ES SICH ZU EINFACH GEMACHT
: Mehr Argumente, weniger Parolen

Bewegungen brauchen Losungen, Vereinfachungen. Demonstrationen sind keine politikwissenschaftlichen Oberseminare und Fußnoten passen auf kein Plakat. Doch es gibt einen Punkt, an dem das Einfache ins Falsche kippt. Und viele Ostermärsche haben es sich zu einfach gemacht.

Die USA sind schuld, Deutschland wird zu einer globalen Militärmacht, der westliche Imperialismus ist das Grundübel, an dem die Welt leidet. Menschenrechte sind nur die schöne Rhetorik, die finstere Interventionsinteressen verdeckt. So klangen viele Reden. In dem Berliner Aufruf heißt es ernsthaft, dass der Westen dabei ist, „die Menschheit vollständig zu militarisieren“.

Dieser alarmistische Ton ist mehr als ermüdend. Er ist falsch. In den 80ern, als sich Ost und West atomwaffenstarrend gegenüberstanden, mag das einfache Nein eine plausible Parole gewesen sein. Heute gilt das nicht mehr. Die neuen Kriege, vom Kosovo über Kongo bis Afghanistan, sind viel zu komplex, um mit westlichem Neokolonialismus erklärt werden zu können. Auch die Kritik an der Nato, die, so der IG-Metaller Horst Schmidthenner in Bremen, die „neoliberale Globalisierung“ militärisch abstützt, ist irgendwie von gestern. Das Problem 2002 lautet eher, dass den USA nach Kosovokrieg und 11. September die Nato lästig ist.

Es war auch viel Richtiges zu hören. Etwa der Vorwurf, die USA erwögen den Einsatz von Mini-Atomwaffen. Damit kehrt eine Idee zurück, die viele voreilig für längst erledigt hielten: der führbare Atomkrieg. Das Gleiche gilt für die Kritik der Ostermarschierer an den deutschen Waffenexporten, deren Volumen unter Rot-Grün nicht gesunken, sondern gestiegen ist. Wer, wenn nicht die Friedensbewegung, soll diese öffentlich eher unterbelichteten Themen auf die Tagesordnung setzen?

Damit ist auch die alljährlich wiederkehrende Frage beantwortet, ob wir die Friedensbewegung noch brauchen. Ja, allerdings eine, die realpolitischer denkt als derzeit. Die an die Stelle fundamentalistischer Anti-USA-Rhetorik die Forderung setzt, dass die USA das Kioto-Protokoll ratifizieren und den Internationalen Strafgerichtshof akzeptieren müssen. Ein praktischer Pazifismus muss auf die Verrechtlichung internationaler Beziehungen setzen. Sonst droht er im Stande ewiger Unschuld und Ohnmacht zu versteinern. Die Forderung nach „Verrechtlichung“ klingt nicht so knallig wie Anti-Bush-Parolen, ist politisch aber der einzige Weg. Dass Pragmatismus und Parolen auch mal Hand in Hand gehen können, hat Attac gezeigt. Da könnte die alte (Friedens-)Bewegung von der neuen vielleicht etwas lernen. STEFAN REINECKE