Große Worte für Afghanistans Großen Rat

Afghanistan kriegt Regeln zur Aufstellung der „Loja Dschirga“, die ab Juni das Land neu ordnen soll. Frauen sind darin erwünscht, Terroristen nicht. Mit mehr ausländischen Soldaten außerhalb von Kabul wäre der Wahlprozess einfacher

KABUL taz ■ „Im Namen des allmächtigen Gottes erkläre ich, dass ich keiner Terrororganisation angehöre, keinen Drogenschmuggel betreibe, keine Menschenrechte verletzt habe, keine Kriegsverbrechen begangen, keine öffentlichen Güter entwendet oder solche mit kulturellem Wert geschmuggelt habe. Ich bin weder direkt noch indrekt am Mord unschuldiger Menschen beteiligt gewesen.“

Dies sind einige der Kriterien, welche ein afghanischer Bürger erfüllen muss, wenn er in den nächsten zwei Monaten in die „Außerordentliche Große Ratsversammlung“ (Loja Dschirga) gewählt werden möchte. In jedem anderen Land würden sie als selbstverständlich vorausgesetzt, doch in Afghanistan muss jeder Anwärter seine Unterschrift unter eine entsprechende Erklärung setzen. Sie lassen das Umfeld erahnen, in dem die Wahlkommission für die Loja Dschirga arbeiten muss, um das Land nach zwei Jahrzehnten Bürgerkrieg wieder in demokratische Bahnen zu lenken. Deutschland hat sich bereit erklärt, die Kosten der Wahlen zu tragen und sie organisatorisch zu unterstützen.

Am Sonntag präsentierte Ismail Qasimyar, der Vorsitzende der 21-köpfigen Kommission, in Kabul die Spielregeln für die Wahl in die Versammlung, die zwischen dem 10. und 16. Juni in Kabul zusammentreten soll. Sie bildet einen entscheidenden Baustein in der Stabilisierung des zerrissenen Landes, wie es das Bonner Abkommen vom letzten Dezember vorsieht. Ihr wird es obliegen, eine weitere Übergangsregierung für die folgenden 18 Monate einzusetzen und dieser erstmals auch eine Art Parlament an die Seite zu geben. Zudem wird sie eine Kommission einsetzen, welche eine neue Verfassung ausarbeitet.

Am Ende dieser Periode – Anfang 2004 – soll der Übergangsprozess mit der direkten Wahl einer „Milli Dschirga“, eines repräsentativen Parlamenst, zum Abschluss kommen. Die Loja Dschirga vom nächsten Juni ist dagegen noch eine Mischung von Wahl und Ernennung. Es ist keine reine Stammesversammlung mehr, da der Krieg die traditionellen Stammesstrukturen schwer beschädigt hat. Anderseits muss die Kommission in Rechnung stellen, dass das Land noch von Kriegsfürsten strotzt, die alles daransetzen werden, ihre Macht über den Weg der Loja Dschirga in die Zukunft hinüberzuretten.

Von den 1.515 Abgeordneten sollen nur 1.051 gewählt werden, und auch bei diesen ist die Wahl indirekt. Dorfversammlungen ernennen Wahlmänner für eines der acht regionalen Wahlkollegien, und dieses wählt dann in geheimer Wahl seine Vertreter in die Große Ratsversammlung. Die übrigen 464 Mitglieder werden ernannt, sei es durch die Wahlkommission, sei es durch Institutionen der Zivilgesellschaft. Frauenverbände, Wirtschaftsgruppierungen, NGOs, religiöse Minderheiten wie Hindus und Sikhs werden aufgefordert, Vertreter zu delegieren. Die Komission selber ernennt auch noch „glaubwürdige Persönlichkeiten“, darunter prominente Exil-Afghanen, religiöse Lehrer und Vertreter von Randgruppen wie Kriegsversehrten, Flüchtlingen und Witwen. Für Frauen ist eine minimale Sitzzahl von 160 vorgegeben. Exkönig Sahir Schah, der in den nächsten Wochen erwartet wird, soll die Versammlung am 10. Juni eröffnen.

Die große Zahl der Abgeordneten hat zum Ziel, wie Ismail Qasimyar in einem Gespräch erklärte, Verzerrungen aufgrund gewaltsamer Einflussnahme zu korrigieren. Die Kommission wird in jedem Wahlkreis ein Beobachtungsteam stationieren und regionale Wahlkommissionen ernennen. Diese können ungeeignete Kandidaten ausschließen und sollen damit verhindern, dass etwa Kommandanten lokalen „Schuras“ ihre Vertreter aufzwingen.

Auch die UNO, und vermutlich einzelne Länder, werden Beobachter einsetzen. Qasimyar plädiert dafür, dass auch die internationale Sicherheitstruppe Isaf an kritischen Tagen und Punkten ihre Präsenz markiert. Mit der Weigerung der USA und der Isaf-Staaten, die Truppe zahlenmäßig aufzustocken, dürfte diese Hoffnung allerdings zerstoben sein. Vertreter der UNO äußerten sich kritisch gegenüber dieser Scheu der Isaf-Länder, ihre Soldaten außerhalb Kabuls einzusetzen. Eine militärische Präsenz würde vielen Afghanen Mut geben, Druck zu widerstehen, sagte ein Berater der Kommission. Deren Fehlen lässt ihn befürchten, dass der Wahlprozess „stark behindert werden könnte“. BERNARD IMHASLY