Feuer auf die Feuerwehr

Ramallah ist besetzt. Israelische Panzer schießen Häuser in Brand, Soldaten durchsuchen Wohnungen, rauben und plündern

RAMALLAH taz ■ „Die Ungewissheit ist das Schlimmste“, klagt Lina Fuad in Ramallah, „die Panzer fahren ständig am Haus vorbei, die Soldaten haben gestern unser Haus durchsucht, die ständigen Granatexplosionen.“

Sie weiß nur, was in ihrer unmittelbaren Umgebung geschieht. Das Haus verlässt sie nicht. „Gestern habe ich aus dem Fenster heraus mit meinem Nachbarn geredet“, so die 56 Jahre alte Hausfrau weiter. Der Mann stand vor seiner Haustür. „Plötzlich knallte es und er brach zusammen.“ Der Nachbar liegt mit einer blutenden Wunde am Bein vor seinem Haus, bis die Ambulanz nach einer Stunde zu ihm vordringen kann. Die Sanitäter selbst wirken apathisch. „Wir sind seit über 48 Stunden im Einsatz“, so ein Helfer, „bald geht’s nicht mehr.“ Die Frontscheibe ihres Krankenwagens ist zerschossen, die Karosserie lädiert. „Panzerketten.“ Wenig später tritt ein weiterer Nachbar vor sein Haus, obwohl die etwaige Position des israelischen Heckenschützen nun bekannt ist. Es knallt erneut. „Bauchschuss.“

Am Montagmorgen fällt der Strom im Zentrum Ramallahs wieder einmal aus. In anderen Stadtteilen sind die Bewohner seit dem Beginn des israelischen Panzerangriffs am Freitag ohne Elektrizität. Die Wasserversorgung ist ebenfalls weitgehend zusammengebrochen. „Wir können jetzt nicht mehr die neuesten Entwicklungen über Radio und Fernsehen verfolgen“, sagt Frau Fuad. „Ich höre nur die Explosionen und weiß nicht, was getroffen wird, wer stirbt oder verletzt wird.“

Nicht dass die palästinensischen Medien überhaupt noch funktionierten. Soldaten stürmten jede Station, verhafteten Mitarbeiter und zerstörten die Einrichtung. Einzig Al-Nasser TV sendet noch. Dort sind offenbar einige im Studio eingeschlossen. Sie strahlen laufend die Nachrichten von al-Dschasira und anderen arabischen Satellitensendern über eine lokale Frequenz aus.

Als zwei israelische Panzer die Straße heraufrasseln, schließt Frau Fuad schnell das Fenster und zieht sich wieder in die hinteren Räume zurück. Das gesamte Haus erzittert, als die Stahlkolosse kommen. Vor dem Haus bleiben sie stehen. Die Kanonen mit den angeschlossenen Videokameras suchen die Umgebung ab. Einer feuert. Sofort bricht in einem nahe gelegenen Haus ein Brand aus. Die gesamte Nachbarschaft wird in schwarzen Rauch eingehüllt. Ein Anruf bei der Feuerwehr bleibt erfolglos. „Wir können nicht ausrücken“, so der Beamte am anderen Ende, „die Soldaten lassen uns nicht durch. Gestern ist auf uns geschossen worden.“ Das Feuer erlischt nach drei Stunden von selbst. In anderen Gebäuden im Stadtgebiet halten Brände an.

Am Montag ist kurzfristig das nahe Studentenwohnheim zu erreichen, das von Israelis durchsucht wurde. Alle Räume sind verwüstet, Türen eingeschlagen. Ein Student, der 26 Jahre alte Bilal Malti, wurde verhaftet. Er kommt aus demselben Dorf wie ein von Israel liquidierter Hamas-Aktivist, zu dem er keine politische oder verwandtschaftliche Beziehung hat. „Die werden ihn zu den Vorgängen im Dorf verhören“, nimmt sein Mitbewohner Muhammed Hanadi an. Ihm wurde wie den anderen 40 Studenten im Haus auch der Inhalt seines Geldbeutels abgenommen. „300 Schekel waren drin“, sagt er, etwa 80 Euro, ein Drittel des hiesigen Monatsverdiensts. Bewohner anderer Stadtteile berichten von ausgeraubten Läden, Goldschmieden und Banken.

Die Beteuerung der israelischen Regierung, „keinen Krieg gegen die Zivilbevölkerung führen“ zu wollen, tut Lina Fuad ab als Geschwätz, „um das Ausland um den Finger zu wickeln. Sie sollten sich mal vorstellen, Sie leben in ihrer Stadt seit über dreißig Jahren selbst unter Besatzung, und wenn Sie sich wehren, kommen die Panzer zu Ihnen nach Hause. Ihr Leben und Ihr Eigentum sind nichts mehr wert.“ PETER SCHÄFER