berliner szenen Trennungsschmerzen

Fenster zum Hof

Abschied. Kann man Abschied nehmen von jemandem, den man nicht kennt? Plötzlich wird einem ein Stück vom Leben weggenommen, eine blöde Veränderung, die man gar nicht will und auf die man keinen Einfluss hat. Guckt man hinaus, guckt man hinein. So ist das eben in den Städten. Jetzt wird eine Wohnung verlassen, in die ich jeden Tag gerne hineingeguckt habe. Lieber als in die Wohnung darüber, die mit den Topfpflanzen und den Windowcolours-Schmetterlingen, in der nach dem 11. September die USA-Solidaritätsdoppelseite aus der B. Z. hing. Auch lieber als auf die Britney-Spears-Poster in der Nebenwohnung, wo das Hochbett ein Chaos aus zerknautschter Bettwäsche und Klamotten ist und die Bewohnerin manchmal mit einer Freundin vor dem Schrankspiegel tanzt.

In „meiner“ Wohnung waren die Wände in einem dunklen Gelb, und jede Nacht saß der Bewohner hinter seinem PC und hatte offenbar Größeres vor. Die Rollläden gingen nicht vor Mittag hoch. Er trug gerne einen Hut, nach hinten geschoben, und schwarze T-Shirts. Im Sommer wurde die Fensterbank zum Balkon und er saß dort und hörte seine Musik. Unbekümmert laut. An einem dieser Sommernachmittage, die so endlos entspannt dahingehen. Und in all den Jahren sah ich ihn nur einmal draußen. Beim Penny-Markt, als er Bierdosen vor die Kasse schob. Jetzt sind die Wände weiß, die Möbel weg. Neben halb leeren Farbeimern stehen ein paar Kartons und blaue Müllsäcke. Alles muss auf einmal schnell gehen an diesem letzten Monatswochenende. Die letzten zwei Abende, vielleicht sogar der letzte. Die Traurigkeit schnürt mir die Kehle zu. Ich werde meinen Schreibtisch verschieben. Vielleicht hin zur Praxis des Psychiaters gegenüber. MAXI SICKERT