Der Krieg im Wohnzimmer

Ein Abend vor dem Fernseher mit einer palästinensischen Familie aus dem Libanon. Der arabische Sender al-Dschasira bringt Nachrichten vom Krieg. Im Berliner Alltag hinterlässt das Spuren

„Sie fragen, warum Leute Attentate machen. Das Volk will in Ruhe leben.“ „Das israelische Volk will auch in Ruhe leben. Jetzt kann es das auch nicht mehr.“

von WALTRAUD SCHWAB

„Kommen Sie. Ich bin bereit. Ich will sprechen. Mit meinem zerbrochenen Deutsch“, ruft Um Mohammed al-Khatib, die Nachbarin, ins Telefon. „Wir sind alle Palästinenser in dieser Situation. Ich habe den Krieg erlebt. Sie wissen, dass ich aus dem Libanon komme.“ Seit fast einem Vierteljahrhundert lebt sie nun bereits in Berlin. Zehn Kinder hat sie hier zur Welt gebracht.

Im Wohnzimmer der al-Khatibs stehen ein Schrank, zwei Sessel, zwei kleine Sofas, zwei große Sofas. Jedes Mitglied der Familie hat einen Platz. Porzellanvögel, ein echter Wellensittich und der Fernseher machen die Einrichtung komplett. An der Decke hängen Girlanden. Nach vier Mädchen kam der erste Sohn. Heute wird er 14. Auf dem Teppich stehen Körbe voller Wäsche, die vom Vater gerade zusammengelegt wurden. Dabei schaut er al-Dschasira. Ständig gibt es Nachrichten: Israelische Soldaten, zerstörte Gebäude, Ostergebete in Jerusalem, Demonstrationen in Kairo, Panzer in den palästinensischen Städten. Arafat als Gefangener.

Um Mohammed zeigt auf den Bildschirm. „Israel schießt auf Kinder. Wir sind doch Menschen, keine Tiere. Es gibt immer nur schlechte Nachrichten. Jede Stunde ist wieder jemand gestorben. Die Armee erlaubt nicht, dass die Verletzten ins Krankenhaus kommen.“ Sie zeigt auf eine Sequenz, in der Männer, die im Sitzen erschossen wurden, zu sehen sind. „Sie fragen mich, warum Leute Selbstmordattentate machen. Darum. Ich möchte sagen, das palästinensische Volk will in Ruhe leben. Es kann nicht. Das israelische Volk will auch in Ruhe leben. Jetzt kann es das auch nicht mehr. Jetzt sind die israelischen Soldaten Feinde. Sie schießen auf Zivilisten, auf Kinder, sie verhaften die Väter, ermorden die Brüder.“

Um Mohammed ist voller Geschichten von einfachen Leuten. Das erklärt, warum sie sich so fühlt. „In Ramallah gibt es kein Strom und kein Wasser. Freunde dort sagen am Telefon: ‚Bis jetzt sind wir in Ordnung.‘ Bis jetzt. Und nachher?“ fragt die 39-Jährige. „Der Osloer Friedensplan – wenn er den Palästinensern was bringt, dann würden sie keinen Selbstmord machen.“

Um Mohammed hält ihre schlanken Hände nebeneinander. „Der Krieg ist ärgerlich, weil er ungleich ist.“ Sie lässt eine Hand nach unten fallen. „Das eine Mädchen, das Selbstmord gemacht hat, sie war Krankenschwester. Auf einem Video sagt sie, warum sie das macht. Es kommt von innen. Sie hat den Druck nicht mehr ausgehalten. So viele Tote und Verletzte. ‚Bevor sie mich billig töten, entscheide ich selbst‘, sagt das Selbstmordmädchen im Video. Verstehen Sie, jeden Tag Enttäuschung, Enttäuschung, Enttäuschung. Davon kommt der Terrorismus . Ich bin sicher, vor 10 Jahren fanden nur 10 Prozent die Selbstmordattentate gut. Aber jetzt, ich bin wieder sicher, 100 Prozent finden das richtig. Auch 6-jährige Kinder.“

Mona, eine der Töchter, derzeit mitten im Abitur, kommt hereingeschneit. Sie war auf dem Ostermarsch. „Da waren viele Omis.“ So was hat sie noch nie erlebt. „Cool. Und dass man endlich rausschreien kann, was man denkt. Dass da andere sind, denen es auch so geht.“ Sie hat ihre halbe Verwandtschaft auf der Demonstration getroffen. „Eigentlich habe ich keine Worte dafür“, sagt sie. „Da ist Krieg und hier Feiertag. Es ist pervers. Niemand sagt was dagegen. Keine Regierung.“

Mona kann sich vorstellen, in der dortigen Situation auch Selbstmord zu begehen. „Ey, ganz ehrlich, unter solchen Demütigungen leben, solchem Hass, keine Zukunft. Sie rotten uns aus, warum nicht noch ein paar mitnehmen? Damit sie merken, wie es ist, wenn man nichts damit zu tun hat und trotzdem stirbt.“ Mona und ihre Mutter glauben, dass wer bei seiner Verteidigung getötet wird, ins Paradies kommt.

Feyruz, die 16-Jährige taucht niedergedrückt im Wohnzimmer auf. Sie ist von ihrer Großmutter gesehen worden, wie sie mit drei Jungs in einem Imbiss saß. Sie weiß, das gibt Ärger. „Mit den Tanten ist noch zu verhandeln, aber mit Oma nicht“, erklärt Manal, die 20-Jährige, die mittlerweile ebenfalls da ist. Sie hat bereits eine gescheiterte Ehe hinter sich und macht derzeit eine Ausbildung zur Kosmetikerin.

Al-Khatibs sind lange schon eingebürgert. Als Geburtsdatum haben die Behörden in Um Mohammeds deutschem Pass den 0. 0. 1963 vermerkt. „Computer am Flughafen oder so lehnen das ab“, erzählt sie. Es wurde ihr nicht geglaubt, dass sie am 1. Januar geboren ist. „Meine Mutter hat gesagt: ‚Du bist an Silvester geboren, aber spät.‘ Also an Neujahr.“ Die Behörden wollen von ihr eine Geburtsurkunde. „Wie soll ich das machen. In Beirut war doch alles kaputt?“

Um Mohammed hat einen Sack Kartoffeln in das Wohnzimmer gebracht. Mona und sie beginnen zu schälen. „Ich war 12, als der Krieg im Libanon anfing. Ich konnte nicht mehr zur Schule. Sonst wäre ich vielleicht jetzt eine gebildete Frau. Es ist anders, wenn ein Kind hier aufwächst, als in Palästina. Hier gibt es Zukunft. Ich will Frieden auf der ganzen Welt.“

Der Vater unterbricht. Al-Dschasira meldet einen Bombenanschlag in Jerusalem. Aber Mona zappt weiter. Sie sucht die Berichte über die Ostermärsche. Vielleicht ist sie im Fernsehen. Dabei stößt sie auf eine Dokumentation über Hitler. „Haben die Deutschen auch so was Schlimmes mit den Juden gemacht, wie jetzt die Juden mit den Palästinensern?“, fragt Um Mohammed

„Wakfu l’harb – Stoppt den Krieg“, schreibt Manal auf ein Stück Papier. Der Vater legt seinen Gebetsteppich auf den Fußboden und verneigt sich gen Osten. Um Mohammed und ihr Mann sind „Hadje“ und „Hadj“ – Mekka-Pilger. „Bei jedem Gebet sage ich: ‚Lieber Gott, rette die Leute‘“, erzählt Um. Mona wiederum sagt, dass Präsident Bush im Mai nach Berlin kommen will und niemand das wolle. Feyruz verschwindet in der Küche und macht Pommes. Leila, die Älteste, taucht im T-Shirt mit Bayern-München-Aufdruck auf. Bis sie einen Studienplatz bekommt, jobbt sie als Verkäuferin. Später aber möchte Um – die wissbegierige Mutter – schnell noch den Unterschied zwischen „gab“ und „gegeben“ erklärt haben.

Alle Namen geändert