„Nur wenige werden erwischt“

Neue Korruptionsstudie: Bestechung in Kommunen weit verbreitet. Staatsanwälte sind oft überfordert

taz: Frau Dr. Bannenberg, Sie haben fünf Jahre lang Akten von Korruptionsverfahren eingesehen. Was hat Sie am meisten überrascht?

Britta Bannenberg: Ich war sehr erstaunt, dass bei den bestechlichen Unternehmen die ganz großen Firmen beteiligt waren – alles, was Rang und Namen hat. Besonders Besorgnis erregend ist die Verbreitung der Korruption im Bauwesen und bei der Vergabe öffentlicher Aufträge.

Sie unterscheiden bei der Korruption in Deutschland drei Strukturbereiche. Der erste Bereich zeigt, dass auch der normale Bürger ins Portmonee greift, um sich Vorteile zu verschaffen.

Diese Bagatellfälle sind aber eher harmlos. Ein typischer Fall: Ein betrunkener Autofahrer bietet einem Polizisten 50 Euro an, damit ihm der Führerschein nicht entzogen wird. Oder ein Privatmann legt Geld in einen Brief an Behörden mit der Bitte um eine Baugenehmigung. Das sind Einzelfälle, die kein großes Problem darstellen.

Im zweiten Bereich haben Sie die schwereren Fälle eingeordnet?

Hier geht es um gewachsene Beziehungen im regionalen Bereich. Ein örtlicher Bürgermeister etwa hat gute Beziehungen zu einzelnen Bauunternehmern und vergibt jahrelang Aufträge ohne Ausschreibungen – als Gegenleistung gibt es eine Spende für seine Partei. Manche Amtsträger fordern geradezu Bestechungsgelder und werden irgendwann von den Firmen angezeigt, wenn diese Pleite gehen. Das bleibt Jahrzehnte verborgen.

In ihrer Studie gibt es aber noch schlimmere Fälle?

Die sind dann von einem ganz anderen Kaliber: Es handelt sich um organisierte Wirtschaftskriminalität mit Korruptionsnetzwerken. Hier agieren Kartelle, mehrere Unternehmen, um Aufträge im Großbereich zu erhalten – um Tunnel, Flughäfen, Klärwerke zu bauen. Hier werden mehrere Hierarchieebenen in der Verwaltung bestochen. Man findet schwarze Kassen und Scheinfirmen in der Schweiz, über die das Bestechungsgeld beschafft wird. Es gibt Abrechnungsbetrug im ganz großen Stil. Und wenn jemand in Untersuchungshaft kommt, werden Schweigegelder gezahlt.

Wie hoch ist die Erfolgsquote, so etwas aufzudecken?

Eigentlich muss man kaum damit rechnen, erwischt zu werden. Die Entdeckungswahrscheinlichkeit bei Korruption ist sehr gering – nur selten gibt es Anzeigeerstatter. Dadurch gibt es auch kaum Abschreckung.

Sind nicht auch die Staatsanwälte überfordert?

Ja. Es gibt zu wenig Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften und gut ausgebildete Staatsanwälte im Korruptionsbereich. Und die, die es gibt, haben es nicht einfach. Wenn Verfahren hochkarätig werden, dann bekommen sie erhebliche Schwierigkeiten, dies aufzudecken. Es gibt Weisungen, Verfahren einzustellen. Manche werden strafversetzt, um einen brisanten Fall nicht weiter zu verfolgen – manche werden auch wegbefördert.

Welche Probleme hatten Sie selbst bei ihren Recherchen?

Es gab ein seltsames Geheimhaltungsgebaren. Verständlich ist, dass ich wegen der Anonymität Namen schwärzen musste. Aber oft wollte man mir die Akten gar nicht erst zusenden – ich musste quer durch Deutschland reisen, um Einblick zu erhalten. In einem Fall durfte ich nur in einer Geschäftsstelle handschriftliche Abschriften machen, damit ich „unter Kontrolle“ blieb. Dort konnte man nicht ruhig arbeiten. In Nordrhein-Westfalen habe ich einige Akten mit dem Vermerk „nicht einsehbar“ nicht bekommen. Aus Sachsen erhielt ich überhaupt keine Akten. Ein weiteres Problem war auch, dass ich für meine Studie keine Grundgesamtheit aller Korruptionsfälle in Deutschland hatte, da gibt es noch keine Statistik.

Welches Fazit ziehen Sie aus der Studie?

Jedes Unternehmen, jede Stadtverwaltung braucht bessere Kontrollstrukturen, etwa einen Ombudsmann, besser noch ein Anti-Korruptions-Team, das Kontrolle ausübt. Auch wird Hinweisen auf Korruption nicht genug nachgegangen. In fast jedem aufgedeckten Fall hat es im Vorfeld Tipps gegeben, denen nicht nachgegangen wurde. Eher wurden die Mitarbeiter an den Pranger gestellt, die ihre Kollegen „angeschwärzt“ haben.

INTERVIEW: NICOLE JANZ