Die Unterschrift unter die Stadt

Variationen auf das Thema Graffiti. Von Weltverbesserern und Strafkolonien, von Hip-Hop-Patrioten und „Writern“, Umwandlerinnen und Sammlern

von WALTRAUD SCHWAB

Graffiti ruft Leute auf den Plan. Hauptakteure sind die mit der Sprühdose in der Hand und jene mit dem Volkszorn auf der Zunge. Strafverfolgungsbehörden und Polizei werfen zudem ihre Wichtigkeit in die Arena. Längst ist das aber nicht mehr alles. Im Grenzbereich zwischen Gesetz und Strafe, zwischen Schmierfink und Künstler tummeln sich allerhand illustre Gestalten. Zu berichten ist von Weltverbesserern und Strafkolonien, von Hip-Hop-Patrioten, Umwandlerinnen und Sammlern.

Einer der Großen

Für Neco Celik, Kid aus Kreuzberg mit türkischem Stammbaum, ging es ums Hiersein. Wo es für seine Eltern ums Dortsein ging. Aufschrei eines Jungen zwischen verfehlter Einwanderungspolitik und Ignoranz. Erster Höhepunkt seines Lebenslaufs: Sprayer.

Dabei war Breakdance ursprünglich sein Ding. Damals, 1986. Der 13-Jährige liebte die Musik und die Straße. Wie viele Kids in SO 36 trieb er sich in der Naunynritze herum. Im alten, backsteinernen Jugendclub wurde ausprobiert, was er heute „unsere Kultur“ nennt: Tanz und Sound – aus der Verneinung entstanden. Rauh im Ton, geschmeidig an den Übergängen von Akrobatik zu Gewalt.

Alles änderte sich, als Celik zum ersten Mal ein tag, eine Unterschrift, von „dragon“ auf einer Mauer sah. „Das hat mich verzaubert.“ Die Faszination ist dem 29-Jährigen noch immer anzumerken: „Einer der ganz Großen!“

Celik wollte das auch: Spuren hinterlassen. Er wurde Sprayer, obwohl sich kein Graffitimacher je so nennen würde. „Wir sind Writer; wir writen. Es geht um Schrift. Buchstaben sind das Größte!“.

Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger war Celik unterwegs. Sein tag zierte die Stadt. Zieren? Verschandeln? – Eine Frage der Perspektive. Bei ihm und den jungen Graffitimalern aus dem Kiez ging es „um Anerkennung und Respekt. Nicht darum, eine Mode mitzumachen.“ Wenngleich der Kitzel des Verbotenen sie angetrieben hat. Um drei Uhr morgens, wenn alle schliefen, haute er von zu Hause ab und sprühte bis kurz vor dem Weckerklingeln. „Passion und Mission in einem.“

Nebenbei gaben die Sozialarbeiter der Naunynritze dem Besessenen auch riesige Plakatwände zum legalen Besprühen. Denn immer weniger ging es Celik um seine Unterschrift unter die Stadt. Am Ende malte er Parolen wie „stop the drugs“ oder „hate on grafitti“. Aus dem Writer wurde ein Künstler und ein Großer für die Jüngeren. Er zeigte ihnen, wie es geht. Dabei entdeckte er sein Sozialarbeitertalent. Heute arbeitet er selbst in der Naunynritze mit den Kids.

Die Sehnsucht, sich in die Welt einzuschreiben, hörte dennoch nicht auf. Auf der Suche nach seinem Medium entdeckte Celik den Film. Nach Kurzfilmen macht er gerade mit seinem Sprayerfreund Erhan Emre den ersten abendfüllenden Streifen. „Urban Guerillas“ heißt er. Ein Film über die Hip-Hop-Szene in Kreuzberg, wo seine Heimat ist. Die dortige Mischung aus Autonomie, Großfamilie, Mauer, Orient, Hausbesetzern, Lebenskünstlern und Proletariat ist ihm ans Herz gewachsen. Derzeit werden Sponsoren gesucht, um den Schnitt zu bezahlen.

Celik will gehört werden und er will „das Wertvolle unserer Kultur“, das über die Grenzen Berlins hinaus nicht verstanden wird, öffentlich machen. Zuerst auf der Wand – nun auf der Leinwand.

Die Strafkolonie

Drei schlaksige Jungs sitzen bei Detlef Böckler im Projekt „Schadenswiedergutmachung“, das zum „pad e.V.“ gehört und Anlaufstelle für geschnappte Sprayer ist. Erwischt wurde das Trio, als es eine U-Bahn verschönerten. Anfänger sind sie nach eigenem Bekunden, zu „Writern“ haben sie es noch nicht gebracht. Dennoch spüren sie ihrem Traum nach, ihr tag durch die Stadt fahren zu sehen. Anstatt Erfolg nun der Schock: Der Schaden, den sie angerichet haben, wurde auf 20.000 Euro geschätzt. Dazu hängt noch das Damoklesschwert der Anklage über ihren Köpfen.

Detlef Böckler, Sozialarbeiter, dessen Projekt mitten im Plattenbau-Dorado von Hohenschönhausen liegt, wurde als Mediator zwischen den Geschädigten und den Jungs bereits tätig. Nicht nur, dass durch seine Intervention die Schadenssumme nun niedriger ist, den Jugendlichen wird zudem angeboten, eine großen Teil davon abzuarbeiten. Die drei atmen auf. Für Monate werden sie ab jetzt jeden Samstag mit einer Putzkolonne mitlaufen und U-Bahnhöfe fegen. Kein Traumjob. Die gearbeitete Stunde ist 5,50 Euro wert.

Im Rahmen des „Berliner Aktionsplans Graffiti“ ist das Projekt 1996 entstanden. Bis Ende 2001 haben 655 Jugendliche so über 200.000 DM Schaden weggeschrubbt. BVG und S-Bahn, die besonders oft mit Graffiti zu tun haben, lassen die Jugendlichen nicht nur in ihren Putzkolonnen mitlaufen, sie finanzieren sogar die sozialpädagogische Betreuung, die auch die Auseinandersetzung mit dem Begriff „Eigentum“ einschließt.

Zwei Verantwortliche aber bleiben Böckler zufolge bei Graffiti zu oft unerwähnt: Die Politiker, die sich nicht genügend um die Ursachen für die Ausbrüche der Jugendlichen in der heutigen Gesellschaft scheren und die Chemieindustrie: „Bei der Entwicklung der Farben und Sprühdosen arbeitet sie mit Sprayern zusammen, der Antigraffitischutz wiederum ist ebenfalls ein riesiger Markt.“

Die Hardliner

„Nofitti“ heißt der Verein der Saubermänner. 1994 gegründet, sind die ungefähr 50 Mitglieder anfänglich selbst mit Putzeimern oder Farbe zum Überstreichen der tags losgezogen. Mittlerweile hat sich die Truppe aufs Sponsorengeldersammeln verlegt. Durchaus mit Erfolg. So wurde damit unter anderem der Große Stern, die U-Bahn-Viadukte aber auch der Brunnen der Völkerfreundschaft auf dem Alexanderplatz gereinigt und mit einer umweltfreundlichen Schutzschicht versehen. Man zeigt sich dialogbereit, obwohl das Statut die Mitglieder als Hardliner outet. Für die Verschärfung der Gesetze machen sie ständig Lobbyarbeit.

Karl Hennig ist der Kopf der Truppe. Ein Theologe von Hause aus, nun Gruppenleiter beim Senator für Stadtentwicklung. Er glaubt fest an seine Mission. Sein ursprünglicher Impuls sei es gewesen, einen Rechtspopulisten wie Schill zu verhindern, der sich Ordnung auf die Fahne schreibt, ohne Demokrat zu sein, sagt er. So eine Erklärung macht ihn zum Taktiker. Selbst nimmt er das Wort „Sauberkeit“ nicht mehr in den Mund, stattdessen spricht er von „Respekt vor den Denkmälern, Hausbesitzern und jenen Leuten, die saubere Wände brauchen, um sich gut zu fühlen“.

Die Umwandlerin

Frau Schulze nennt sich gern „Frau Krause‘“. Sie tut es, weil sie Ornamente mag. Die kleinen rhythmischen Einheiten haben es der Berlinerin angetan, obwohl ihr der Fehler, der die Harmonie bricht, genauso gefällt. In Nachname und Pseudonym hat sie das Geheimnis der brüchigen Repetition wieder entdeckt. Semiotisch gehören Schulze und Krause zu jenen kleinsten Einheiten, die lediglich auf die Tatsache eines Namens verweisen und nicht auf eine Herkunft noch auf Identität.

Ihre Namen, die ihr gebührende Anonymität garantieren, haben die 38-jährige Künstlerin nicht daran gehindert, sich in der Welt Gehör verschaffen zu wollen. So wollte sie zu DDR-Zeiten unbedingt Kunst studieren, obwohl ihr das System nur eine eingeschränkte Begabung attestierte. Immerhin reichte diese für ein Grafikstudium an der Kunsthochschule Weißensee. Dort begann sie, Renaissanceornamente und Barockmosaike in Treppenhäusern zu rekonstruieren. Dabei lernte sie, „mit dem Fehler zu arbeiten“. Jede Rekonstruktion einer Serie wurde unter ihren Händen zum Unikat.

Serie und Unikat haben es ihr angetan. Unter dieser Prämisse wurde sie später auch auf die tags der Sprayer aufmerksam. Zuerst verwirklichte die allein Erziehende das Prinzip der eigenwilligen Wiederholung allerdings beim Kinderkriegen und als Galeristin. Um die Kosten für ihre Galerie „Krause“ aufbringen zu können, wurde sie zur Serienmalerin.

„Schulze und Krause sind nicht zuhause, Sprayathen auch nicht gesehn“, heißt die Ansage auf dem Anrufbeantworter. Denn neben vielen Schneckenbildern hat die Frau, die voller Geschichten steckt, eine neue Geschäftsidee: Spreeathen soll Sprayathen werden. „Wer zuerst kommt, malt zuerst!“ Niemand sei gezwungen, Graffiti nur als Ärgernis wahrzunehmen.

„Was will uns der Sprayer sagen, wenn er auf jede Fassade der Stadt seine Unterschrift setzt“, fragt Schulze. Dass er hier war? Dass es ihn gibt? Als „Krause“ kennt sie das Begehren der Sprayer auch. Wohl aber aus der Negation. So kam sie auf die Idee, das tag zum Ausgangspunkt einer ornamenthaften Verzierung zu nehmen. Dabei wendet sie die alten Tricks an: Sie spiegelt den Schriftzug, bricht ihn, doppelt ihn, reproduziert Teile davon an anderer Stelle.

Schulze begreift ihre Initiative als Angebot an die Haus- und Ladenbesitzer. Warum viele tausend Mark zahlen, um sich von einer Malerfirma die urbanen Metaphern in regelmäßigen Abständen wegwischen zu lassen, wenn daraus eine Parabel entstehen kann, fragt sie. Die Vorstellungen von Ordnung und Sauberkeit seien nicht geklärt. „Wie sonst ist es denkbar, dass sie auf der einen Seite stehen, auf der anderen aber die Erwartung an Berlin, dass es etwas Besonderes sei: lebendig, multikulturell, voll sozialer Interaktion?“

Schulze/Krause will aus dem gesellschaftlichen Bedarf ein Angebot machen. Für sich und für andere. Nicht auszudenken, wenn alle Fassaden weiß wären. Gespraytes soll als Ausgangspunkt der Gestaltung nicht als Endpunkt begriffen werden. Ein Argument ist auf ihrer Seite. Ist doch bekannt, dass Sprayer ihre Marke nicht gern dahin setzen, wo schon etwas steht.

Gerade der Konflikt mit den Sprayern allerdings ist noch nicht ausgestanden. Sie werfen Schulze vor, dass sie ihnen ihre Identität klaue. Aus ZAK werde ZAKKAZ oder gar KAZZAKKAZZAK. Wie soll einer, den nur Eingeweihte kennen, so viel beschädigte Anonymität ertragen?