tretrollerautorität von EUGEN EGNER
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In meiner Eigenschaft als vereidigter Sachverständiger hatte ich zwecks Gutachtenerstellung einen schweren Maschinenbruch bei einer großen Firma inspiziert und verließ am Abend erschöpft das Werksgelände. Als ich mich meinem auf der anderen Straßenseite geparkten Pkw näherte, musste ich mit jähem Schrecken erkennen, dass mit dem fast fabrikneuen Fahrzeug etwas nicht in Ordnung war. Aufgeregt lief ich hin und entdeckte einen kleinen Jungen, der sich, wie es schien, daran zu schaffen machte.

Ich rief: „Was machst du da, Saubengel? Wenn du mir den Lack verkratzt …“, doch da sah ich schon die ganze Bescherung. Es war so unfassbar, dass es mir fast den Verstand raubte. Mit einer Stimme, die mir selbst fremd vorkam, schrie ich: „Das kostet dich dein Scheißleben, du wahnsinnige Bestie!“

Jemand fasste mich von hinten beim Arm, eine Frauenstimme sagte: „Bitte mäßigen Sie sich!“

Ich wandte mich wutschnaubend um, neben mir stand eine gut aussehende junge Frau mit einem dieser widerlichen, ubiquitären Tretroller an der Hand.

„Mich mäßigen?“, fuhr ich sie an. „Mischen Sie sich lieber nicht ein! Ich schlag ihn tot! Ich schlag ihn auf der Stelle tot!“

Doch sie hielt mich an der Jacke fest: „Halt! Das ist mein Sohn! Es ist sein Tretroller, den ich schiebe!“

Verblüfft starrte ich das so unschuldig aussehende Kinderfahrzeug an. Einen Rest Selbstkontrolle besaß ich noch, denn anstatt den Roller an mich zu reißen und seinen Besitzer damit zu erschlagen, ließ ich meinen Zorn verbal an der aus, die sich als Erziehungsberechtigte ausgab: „Ihr Sohn ist das? Da gratuliere ich aber! Sehen Sie sich an, was er mit meinem Auto gemacht hat! Es ist völlig zerstört, irreparabel! Ein Totalschaden! Womit soll ich jetzt nach Hause fahren?“

Die junge Frau antwortete mir nur mit einem überaus strengen Blick. Plötzlich verunsichert, kam ich mir wie ein Trottel vor und schämte mich für meinen Wutausbruch. Um nichts in der Welt wollte ich einen schlechten Eindruck auf die Frau machen. In der Absicht, um Verständnis für meine „emotionale Entgleisung“ zu werben, berichtete ich von dem Maschinenbruch, von dem unvorstellbaren Bild der Verwüstung auf dem Werksgelände, das ich mir den ganzen Tag hatte ansehen müssen. Ich schilderte, wie die Atmosphäre solch immenser Schadhaftigkeit mein inneres Gefüge bedroht hatte, wie ich hatte fürchten müssen, alle Fähigkeiten einschließlich der des Autofahrens und des Gutachtenerstellens einzubüßen. Die Mutter ließ mich zappeln und sagte kein Wort dazu. Da geriet ich in Panik: „Vielleicht wird Ihr Sohn auch einmal Sachverständiger und begutachtet noch viel größere Schäden als ich. Er ist zweifellos technisch interessiert.“

Sie vergaben mir. Großmütig liehen sie mir sogar den Tretroller, damit ich nach Hause fahren konnte. Ich wollte ihn dann schon ganz dreist als Ersatz für das ruinierte Auto behalten, aber mein Chef meinte, damit könne ich unmöglich in den Außendienst.