Stoiber bleibt fast ganz nüchtern

Bei seinem ersten Wahlkampfauftritt nach dem Zuwanderungseklat im Bundesrat fällt der Kanzlerkandidat der Union durch Zurückhaltung auf. Sogar seine Parteifreunde hatten ihn zuvor gewarnt, mit der Ausländerpolitik auf Stimmenfang zu gehen

von NICOLE JANZ
und MICHAEL BARTSCH

Bundeskanzler Schröder hatte sich schon auf einen Richtungswahlkampf gefreut: Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) gibt ja auch einen fabelhaften bad guy ab, seit er am Wochenende angekündigt hat, die Ausländerpolitik im Bundestagswahlkampf zu thematisieren. Doch Stoiber scheint auf die heftige Kritik aus den eigenen Reihen gehört zu haben. Bei seiner gestrigen Wahlkampftour in Sachsen-Anhalt sagte er, Zuwanderung sei nicht das zentrale Wahlkampfthema in Sachsen-Anhalt.

Auch die CDU-Vorsitzende Angela Merkel schloss sich an die gemäßigten Töne an und sagte, es werde zu keiner „Schlammschlacht“ kommen. CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer zeigte sich zuversichtlich, dass sich die Union nach einem Sieg bei der Bundestagswahl mit der FDP über ein neues Zuwanderungsgesetz einigen könne.

Zuvor hatte Stoiber bei der Sektkellerei Rotkäppchen in Freyburg seine Ankündigung vom Wochenende verteidigt, dass er in Sachsen-Anhalt die Zuwanderung zum Wahlkampfthema machen wolle. Doch in seinen Aussagen hielt er sich zurück. Vielmehr sagte Stoiber, er verstünde die „Hysterie“ über seine Aussage nicht. Bei 4,3 Millionen Arbeitslosen sei klar, dass die Menschen eher für eine Eingrenzung als eine Erweiterung der Zuwanderung seien. Bei einem weiteren Wahlkampftermin sagte er: „Zuwanderung ist mit ein Thema, das neben vielen anderen eine Rolle spielt – wie etwa die Legehennenverordnung.“

Zuvor hatte sich nach Protesten der rot-grünen Regierung und der FDP gezeigt, dass es auch in der Union Gegner eines harten Zuwanderungswahlkampfs gibt. Der ehemalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler attackierte den Kanzlerkandidaten seiner eigenen Partei ungewöhnlich scharf: „Wer so etwas macht, der ist reif für die Psychiatrie“, sagte Geißler gestern im Westdeutschen Rundfunk. Die Union und ihr Kanzlerkandidat hätten ansonsten eine gute Chance, mit ihrer Wirtschaftskompetenz die Wahlen zu gewinnen. „Wenn nun das Ausländerthema hochgezogen wird“, so Geißler, der nicht mehr für den Bundestag kandidiert, „dann ist das der berühmte Schuss ins Knie.“

Horst Eylmann (CDU), ehemaliger Bundestagsabgeordneter, hatte Stoiber vorgeworfen, dass seine Partei das Zuwanderungsgesetz im Bundesrat abgelehnt hatte. „Stoiber wollte keinen Kompromiss. Für ihn war allein die Machtfrage entscheidend: Schröder sollte scheitern“, schreibt Eylmann in der Zeit. Eylmann, der Mitglied der Süssmuth-Zuwanderungskommission war, machte sich um das Profil der CDU Sorgen: Der liberale Flügel der CDU sei früher ein unverzichtbarer Bestandteil der christlich-demokratischen Identität gewesen.

Sachsen-Anhalts CDU-Spitzenkandidat Wolfgang Böhmer kam die Mäßigung Stoibers gelegen. Das Zuwanderungsthema will sich der in Umfragen bislang gut abschneidende Spitzenmann nicht aufdrängen lassen. Schon beim Wahlkampfauftakt am Dienstagabend in Haldensleben hatte er sich davon distanziert und betont, die Landtagswahl werde vor allem von landesspezifischen Themen bestimmt. Wirtschaftliche Konsolidierung und Bekämpfung der über 20 Prozent Arbeitslosigkeit stünden ganz obenan. In Sachsen-Anhalt liege der Ausländeranteil unter 2 Prozent.

In dieser Frage ist sich Böhmer mit seinem Konkurrenten, Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD), einig. Der hatte die Wahlkampfstrategie von Stoiber allerdings schärfer angegriffen. Der habe überhaupt keine Ahnung von den Problemen im Osten. „Herr Stoiber ist offenbar nur daran interessiert, den von ihm inszenierten Machtkampf auf dem Rücken der Ostdeutschen auszutragen, und das finde ich ziemlich katastrophal“, sagte Höppner gestern im InfoRadio Berlin.

Trotz allem Hin und Her lässt sich kaum leugnen, dass alle Parteien in Sachsen-Anhalt bei der Landtagswahl am 21. April auch mit den ehemaligen DVU-Wählern kalkulieren. Die rechte Partei war bei der Wahl 1998 mit überraschenden 12,9 Prozent in den Landtag eingezogen. Im April tritt die Partei allerdings nicht mehr an – die damaligen so genannten Protestwähler bleiben übrig.