„Es geht nicht nur um Geld“


Ich setze alles daran, am Verhandlungstisch ein Ergebnis zu erzielen. Nicht auf der Straße

Interview THILO KNOTT

taz: Herr Huber, was haben die Gewerkschaften nur gegen Kanzler Gerhard Schröder?

Berthold Huber: Wir haben nichts gegen ihn. Wir wissen sehr wohl, dass wir unter einer rot-grünen Regierung zumindest teilweise auf offene Ohren stoßen – vermutlich häufiger als unter einem möglichen Kanzler Stoiber.

Schröder hat mit lahmer Konjunktur und hoher Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Und dann kommen Sie noch und fordern 6,5 Prozent mehr Lohn. Im Wahlkampf. Das ist doch sicher nicht das, was Schröder als „vernünftigen“ Abschluss gefordert hat?

Schröder hat die Regierung zu führen, er hat die Richtlinien der Politik zu formulieren. Und es gibt immer Situationen in der Geschichte, wo sich Kanzler in Verhandlungsrunden eingeschaltet haben. Das ist meistens nicht gut ausgegangen.

Sie werfen Schröder eine größer gewordene „Gerechtigkeitslücke“ vor. Wie definiert sich diese?

Nehmen Sie das Projekt Steuerreform. Da sagen wir: Jawohl, die ist richtig. Da ist bei den Haushalten der Arbeitnehmer etwas angekommen. Allerdings sind die eigentlichen Profiteure nicht die Arbeitnehmer, sondern beispielsweise die Kapitalgesellschaften. Das sehen wir mindestens genauso zwiespältig wie den Sparkurs von Finanzminister Hans Eichel. Natürlich kann er sich auf die Maastricht-Kriterien berufen. Aber um welchen Preis? Es ist nicht richtig, die Konsolidierung gegen Investitionen und Arbeitsplätze durchzupeitschen. Da muss man dann eben die Zeitpläne ändern.

Trotz der Unzufriedenheit werden Sie Ihren Gefolgsleuten keine Alternative empfehlen für die Wahl am 22. September – obwohl der Arbeitnehmerflügel der CDU und Stoiber Sie heftig umgarnen?

Wir werden eine sehr kritische Beurteilung aller Parteien vornehmen. Aber wenn ich zum Maßstab nehme, was Stoiber gleich nach seiner Kür zum Kanzlerkandidaten angekündigt hat, nämlich die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes zurückzunehmen, dann kann ich nur sagen: Freiwillig werden wir das nicht mitmachen.

Und eine Empfehlung für die Grünen? Die hätten doch gewerkschaftliche Solidarität bitter nötig?

Das mag sein. Aber die grüne Politik war in den zurückliegenden Jahren ja auch nicht das Gelbe vom Ei. Der Kurs der Grünen ist in weiten Teilen ein ausgesprochen wirtschaftsliberaler Kurs.

Ihr Angebot für diese Tarifrunde liegt bei 6,5 Prozent mehr Lohn. Vor zwei Jahren lag Ihre Eingangsforderung bei nur 5,5 Prozent – obwohl die Konjunktur wesentlich besser war. Wie passt das zusammen?

2000 war das beste Jahr in der verarbeitenden Industrie in den letzten 20, 30 Jahren. Aber der Abschluss vor zwei Jahren war schon ein Jahr später hinfällig, weil niemand mit solch einer hohen Preissteigerung von 3,5 Prozent in der Spitze gerechnet hat. Insofern ist die 6,5-Prozent-Forderung berechtigt, weil es wegen der Reallohnverluste aus dem Jahr 2001 einen Nachholbedarf gibt. Nach heftigsten Diskussionen innerhalb der IG Metall haben wir uns zu der 6,5-Prozent-Forderung durchgerungen.

Was heißt durchgerungen?

Durchgerungen heißt, dass in prosperierenden großen Unternehmen die Forderungen im zweistelligen Bereich lagen. 6,5 Prozent sind schon ein Kompromiss.

Vermutlich würde ein Arbeitgeber jetzt sagen: Unser durchgerungenes 2-Prozent-Angebot ist auch ein Kompromiss, weil viele Unternehmer nicht einmal eine 1 vor dem Komma sehen wollten.

Wenn man Tarifrunden als Gefeilsche auf einem Basar ansieht, gut. Aber es geht um etwas anderes: Selbst die 2 Prozent der Arbeitgeber orientieren sich ausdrücklich nur am gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt. Dieser wird mittelfristig bei 2 bis 2,5 Prozent liegen. Der Produktivitätsfortschritt soll in den Augen der Arbeitgeber künftig als Maß für Tarifrunden gelten.

Und Sie wollen natürlich die Inflationsrate noch dazu …

Ja, weil ich ansonsten Gefahr laufe, dass unsere Arbeitnehmer jedes Jahr von neuem nachlaufende Erwartungen formulieren. Die Produktivitätssteigerung lag doch bei unseren Metallbetrieben in den vergangenen beiden Jahren bei 14 Prozent. Also kommt man um den Inflationsausgleich nicht herum – und drunter wird es die IG Metall auch nicht machen. Den Paradigmenwechsel, den die Arbeitgeber anstreben, werden wir nicht unterschreiben.

Also konkret: Könnten Sie mit einer 3 vor dem Komma leben?

Sie werden mir keine Zahl entlocken können.

Das geht jetzt mitten in den Verhandlungen wohl nicht. Welche Sätze muss man als guter Verhandlungsführer der IG Metall auf jeden Fall draufhaben?

Als Verhandlungsführer kommt man mit nur drei Sätzen nicht sehr weit. Die Welt lässt sich nicht in drei Sätzen erklären.

Nummer eins: Von unserer Forderung rücken wir nicht einen Millimeter ab. Nummer zwei: Hohe Löhne stärken die Kaufkraft, stärken die Konjunktur. Nummer drei: Ob die Einigung am Verhandlungstisch möglich ist, hängt von den Arbeitgebern ab. Herr Huber, fühlen Sie sich ertappt?

Nein. Wie war nochmals der erste Satz?

Von unserer Forderung rücken wir nicht einen Millimeter ab …

Ich halte es nicht mit Apodiktionen. Man muss am Ende trotz aller Verhärtungen immer nach Kompromissen suchen.

Welche drei Arbeitgebersätze möchten Sie nicht mehr hören?

Ich kann nicht mehr hören, dass der gesamtwirtschaftliche Produktivitätszuwachs einziger Maßstab sein soll bei den Tarifen. Das ist unhistorisch. Und Sie finden keinen Wirtschaftstheoretiker, der auf dieser Ebene argumentieren würde – nicht einmal Vertreter der Neoklassik.

Der zweite Satz?

Der zweite Satz lautet: Jeder Abschluss, der zu hoch ist, gefährdet Arbeitsplätze. Das ist empirisch nicht haltbarer Unfug.

Und der dritte?

Der Satz „Jeder Abschluss, der zu hoch ist, gefährdet Arbeitsplätze“ ist empirisch nicht haltbarer Unfug.

Ach, mit diesen beiden Sätzen würde ich mich schon begnügen.

Würde es Ihnen für die Tarifrunden helfen, ein famoser Pokerspieler zu sein?

Vielleicht ganz am Ende. Aber Tarifverhandlungen haben immer einen rationalen Kern. Es geht um Fakten und deren Bewertung, es geht natürlich um Interessen. Die liegen auf der Hand. Ich verkörpere das Interesse von ein paar hunderttausend Arbeitern und Angestellten und die Erwartung in ihre Gewerkschaft, dass sie nicht über den Verhandlungstisch gezogen werden. Es gibt natürlich den ein oder anderen Kniff. Was man können muss, ist, sich in die Gedankenwelt des Gegenübers hineinzuversetzen.

Machen Sie das mal beim Entgeltrahmenabkommen, das in dieser Runde verhandelt wird. Warum sind Sie so guter Dinge, dass es nach zehn Jahren einen Einstieg in den gemeinsamen Tarifvertrag für Arbeiter und Angestellte geben wird?

Irgendwann muss man solche Projekte zu Ende bringen – sonst wird die eigene Politik unglaubwürdig. Große Teile des neuen Systems der Entlohnung und Bewertung von Arbeit sind schon fertig. Und dringend, weil wir uns der Frage stellen müssen: Haben wir genügend Fachkräfte? Es kann doch nicht wahr sein, dass jemand, der im gewerblichen Bereich dreieinhalb Jahre Ausbildung hinter sich hat, über den Tarifvertrag diskriminiert wird. Bei der nächsten Runde am 8. April werden wir auch eine umfassende Lösung zu diesem Komplex vorschlagen.

Sind Ihnen Verhandlungen, bei denen es um die Strukturierung von Arbeit per se geht, lieber als schnöde Lohnrunden?

Die Gewerkschaft und deren Tarifpolitik muss mehr sein als Geld. Geld ist wichtig. Aber was nützt den Menschen Geld, wenn sie durch inhumane Arbeitsbedingungen ihre Gesundheit ruinieren? Oder was bedeutet es angesichts der Alterung der Gesellschaft, dass ein 55-Jähriger nun mal nicht die Leistung bringen kann wie ein 30-Jähriger? Wie ist es mit der Gleichstellung der Frauen in der Arbeit? All dieser Themen müssen sich die Tarifparteien annehmen – abseits von der einfachen Frage nach mehr Geld.

IG-Metall-Vizepräsident Jürgen Peters, Ihr Kontrahent um die Nachfolge von Klaus Zwickel, hat die Erwartungen so formuliert: „Geld, Geld und nochmals Geld.“ Ist er deswegen ein Traditionalist?

Mit den Etiketten wird man uns beiden nicht gerecht. Ich will es mal so sagen: Der Bezirk Baden-Württemberg hat immer versucht, auch qualitative Tarifpolitik zu machen. Wir haben immer versucht, die Arbeitsbedingungen zu gestalten. Dass die Menschen nicht kaputtgehen in der Arbeit. In dieser Tradition bin ich aufgewachsen – und so verstehe ich mich auch heute.

Es gehört zu dieser Tradition, dass Sie auch nicht viel von Arbeitskampf halten. Ein Streik, haben Sie gesagt, ist keine „pädagogische Übung“. Und gewarnt haben Sie Funktionärskollegen vor „romantischen Sehnsüchten“. Mit solchen Worten mobilisieren Sie nicht gerade für die Straße.

Ich glaube nicht, dass die Mehrheit von uns einen Arbeitskampf erwartet. Ich setze alles daran, am Verhandlungstisch ein akzeptables Ergebnis zu erzielen – und nicht auf der Straße. Wenn allerdings nichts mehr hilft, dann müssen wir ran – auch das ist gute baden-württembergische Tradition. Aber generell gilt: Die Bewegung ist alles, das Ziel ist nichts – mit solch einem Motto habe ich nichts zu tun.