Nahost erreicht die deutsche Politik

Die neue Sorge um die innere Sicherheit ist nicht die einzige Auswirkung des Nahostkonflikts auf die Bundesrepublik

BERLIN taz ■ Seit der Nahostkonflikt immer offensichtlicher ausser Kontrolle gerät, blicken deutsche Politiker in zwei Richtungen: die Außenpolitiker nach Israel, die Innenpolitiker nach Frankreich. Nach den Anschlägen auf Synagogen in mehreren französischen Städten, sorgt vor allem eine Frage für Unruhe: Schwappt der Nahostkonflikt auch auf die Bundesrepublik über? „Es gibt keine Anhaltspunkte zum gegenwärtigen Zeitpunkt“, erklärte Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye gestern. „Bund und Länder sind wachsam“, versicherte die Sprecherin des Bundesinnenministeriums.

Cem Özdemir, innenpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, sieht trotzdem ein ungeklärtes Problem: „Wie kann man verhindern, dass Konflikte des Herkunftslandes blind übernommen werden?“ Ganz neu ist das Problem nicht. Schon der Kampf zwischen der türkischen Regierung und der kurdischen Arbeiterpartei PKK hatte Auswirkungen bis Berlin. Natürlich sei wichtig, sagt darum Özdemir, dass Migranten sich nicht als verlängerter Arm der PLO oder PKK begriffen. „Gerade wir Grünen müssen besonders streng sein bei der Einhaltung der Voraussetzungen für eine multikulturelle Gesellschaft“, fordert der innenpolitische Sprecher seiner Fraktion. „Wer sich von Selbstmordattentaten nicht distanziert, ist kein Gesprächspartner.“ Umgekehrt müsse aber die deutsche Gesellschaft den Migranten „eine Bindestrich-Identität“ ermöglichen. Deutsch-Araber dürften nicht in einen steten Rechtfertigungszwang geraten. „Die Kreuzritter der deutschen Leitkultur sind auch in diesem Konflikt nicht hilfreich.“

Die Sorge um die innere Sicherheit ist allerdings nur eine Auswirkung des Nahostkonflikts. Zunehmend polarisiert der Konflikt auch die deutsche Politik selbst.

„Sehr geehrter Herr Botschafter“, schrieb Exminister Norbert Blüm am 2. April an den Vertreter Israels in Berlin, Shimon Stein, „israelische Panzer beschießen die Weihnachtskirche und zerstören das Leben friedlicher Menschen. Das ist ein hemmungsloser Vernichtungskrieg.“ Noch vor kurzem wären derartige Formulierungen aus der Feder eines CDU-Bundestagsabgeordneten kaum vorstellbar gewesen. Blüm wurde von der E-Mail eines Pfarrers aus Bethlehem aufgeschreckt, seine Kritik ist eher humanitär als außenpolitisch motiviert. Gerade deshalb ist seine Intervention ein Zeichen dafür, dass in der größten Oppositionsfraktion die Skepsis gegenüber dem Kurs Israels steigt.

Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Karl Lamers warf der Regierung Scharon in einer Reihe von Interviews offen vor, sie betreibe „eine Politik, die den Terrorismus fördert“. Bundesaußenminister Joschka Fischer solle darum klar sagen, „dass Israel die größere Verantwortung trägt“. Auch in der Union ist nicht allen Politikern bei so viel Parteinahme wohl. Als Ostdeutscher, so Fraktionsvize Günter Nooke zur taz, sei ihm „die Nähe von Honecker zu Arafat“ noch in unguter Erinnerung. „Ich würde mich mit der Kritik gegenüber Israel zurückhalten.“ PATRIK SCHWARZ