Kokette Vorsicht

■ Die Tänzerin Claudia Hanfgarn erzählt Geschichten vom Älterwerden – anrührend komisch, sehr leise, auch schmerzhaft

Wie lassen sich das Alter und das Altern auf der Bühne des Tanztheaters zum Thema machen? Die Bremerhavener Tänzerin Claudia Hanfgarn rührt an ein Tabu, denn das Älterwerden geschieht fast ausschließlich jenseits der Bühne, und nur der blühende Körper wird begeistert bejubelt.

Die Tänzerin, regelmäßiger Gast beim „Bremer Tanzherbst“, weiß, wovon sie spricht. „Was war ist wird sein“ – so der Titel des Abends – ist auch ihr persönliches Thema: „Wer mit 40 Jahren noch auf der Bühne steht, gilt fast schon als Greis.“ Gemeinsam mit Bruno Mora, dem einst gefeierten Altstar des Bremerhavener Stadttheater-Balletts, und mit Mathias Brühlmann werden Geschichten vom Altern erzählt, die anrührend komisch, sehr leise und auch schmerzhaft sein können, aber nicht ins Sentimentale abgleiten.

Das ungewöhnlichste Bild präsentiert Claudia Hanfgarn in ihrem Solo „geschuppt“, in dem sie minutenlang unter einem schweren Mantel wie unter einem Panzer verborgen ist, zunächst vereinzelt eine Hand, einen Fuß, einen Arm herausstreckt, um endlich das schützende Gehäuse zuverlassen und den nackten Körper an seinen empfindichsten Stellen zu bepflastern. Sie kommt – zur transparenten Musik des Tokio String Quartett – auf die Füße, aber ihre Bewegungen werden nicht frei, der nackte, halb geschuppte Körper bleibt gekrümmt, die Arme flattern, ein verletzter Vogel ist da zu sehen, der nicht mehr vom Boden abheben kann.

Weniger grausam führt die Tänzerin – als Choreografin – im ersten Bild des Abends Bruno Mora und Mathias Brühlmann als uralte Männer vor. Sie bewegen sich auf kleinster, streng quadratischer und ausgeleuchteter Fläche: Es sind die typischen Haltungen des Kopfes und der Hände, die Hanfgarn jenseits aller Klischees hier sehr präzise und zugleich sehr komisch in Szene setzt.

Hände öffnen imaginäre Schubladen, fahren über Haare und Schultern, aus dem stummen Nebeneinander – zum dunkelsten Blues von Tom Waits – wird ein Kampf der Köpfe, der sich in Zärtlichkeit verwandelt, in letzte Versuche, noch einmal die alte Rockmusik zu tanzen – bis am Schluss auf dem roten Sofa im Hintergrund einer allein zurückbleibt. Ein wundersames Werk, das eine präzise und poetische Handschrift verrät.

Mathias Brühlmann, der jüngste im Bunde, lässt im letzten Bild die gesamte Ballett-Crew des Stadttheaters um ein wirkliches altes Paar, ein Ehepaar in den 70-ern, tanzen. Sie tanzen – passend zu der wieder auferstandenen kubanischen Musik der 50-er Jahre – klassischen Cha Cha Cha, und niemals werden ihre vorsichtigen und dennoch koketten Bewegungen denunziert.

Im Gegenteil, das Alter und das tanzende alte Paar erhalten eine Würde, die ihm die Jungen gerade dadurch zurückgeben, dass sie sich mit aller Leidenschaft und jugendlichen Energie in einen Rausch hineintanzen, in dem die Frauen die Führung übernehmen. So wird die laszive, swingende kubanische Musik zum Bindeglied zwischen den Generationen.

Hans Happel

„Was war ist wird sein“ ist im Theater im Fischereihafen, Bremerhaven zu sehen. Weitere Vorstellungen: heute, am 30.April., 23. Mai, und am 24.Mai, jeweils 20.00 Uhr. Karten gibt es unter (0471) 93 13 138