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: HELMUT HÖGE über Palästinensertücher und Steine

In Revolutions- und Restaurationsphasen

Das Photo von Reuters ging um die Welt, wie man so sagt – mangels Text meist nur mit einem knappem Kommentar – wie z.B. im Tagesspiegel: Während der Ostermärsche demonstrierte man in Berlin gegen „die Gewalt im Nahen Osten“ vor der US-Botschaft.

Dabei knipste der Photograph Arnd Wiegmann eben dieses Bild mit einen Jungen, der ein Palästinensertuch als Hasskappe trug und seine Faust mit einem Stein nach vorne reckte. Wobei er einen ziemlich entschlossenen Eindruck machte – jedenfalls so weit man das seinen Augen ansehen konnte, die als Einzige nicht vom Tuch verdeckt waren. In den Augen der Presse handelte es sich dabei um einen „palästinensischen Jungen“.

Ein Tag später wurden zwei junge Amerikaner, die aus der Synagoge an der Augsburger Straße kamen, von einigen „südländisch aussehenden jungen Männern“ attackiert, woraufhin der Staatsschutz die Ermittlungen aufnahm und die Presse um Fahndungsbeihilfe bat. Inzwischen hat auch die Innenverwaltung mitgeteilt, dass der Schutz jüdischer Einrichtungen nach Anschlägen auf Synagogen in Frankreich und Belgien verstärkt werde.

Mehr oder weniger sind hier alle über den eskalierenden Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern entsetzt, hüten sich jedoch „wegen der besonderen politischen Verantwortung der Deutschen“, für die letzteren Partei zu ergreifen und sind besonders erbost über sie, wenn Exilpalästinenser jetzt auch hier Israelis bzw. Juden angreifen oder schmähen. In der Studentenbewegung war der Antizionismus fast Konsens, und Juden gab es insofern nicht, als es niemanden interessierte, ob jemand einer war oder nicht. Selbst in der Frankfurter Karl-Marx-Buchhandlung, wo Daniel Cohn-Bendit als Geschäftsführer fungierte, standen alle Judaika unter „Naher Osten“.

Wenn jetzt jedoch antizionistische Parolen, wie z. B. gerade an den Hauswänden in der Rigaer Straße, auftauchen, wittert man dennoch gleich einen neuen Antisemitismus – an den Rändern der Linken und unter den arabischen Exilanten. Die FAZ hat bereits klargestellt: Der auf die Ausweisung von Arafat hinwirkende Scharon rufe nur mit Waffen und Panzern um Hilfe. Zuvor hatte eine TV-Dokumentation über einen erschossenen Palästinenserjungen nahegelegt, dass seine eigenen Leute ihn ermordeten und anschließend israelische Soldaten für die Tat verantwortlich machten.

Während das Feuilleton die Frage diskutiert, ob im Nahen Osten schon Krieg herrscht oder doch noch ein low intensity conflict, und bestenfalls auf beiden Seiten „Terror“ entdeckt, möchte man abseits der Definitionsfragen am Liebsten gar nichts davon wissen: Zu aussichtslos ist jede Lösungsmöglichkeit.

Der athenische Befrieder und Gesetzgeber Solon machte es einst jedem zur Pflicht, sich im Falle eines Bürgerkriegs auf die eine oder andere Seite zu schlagen. Später kritisierte er diese Idee. Die Diskussion darüber flackerte nach 1914 noch einmal auf, als Lenin darauf drang, aus dem Weltkrieg so schnell wie möglich einen Bürgerkrieg zu machen. Statt sich gegenseitig abzuschlachten, sollten die Proletarier lieber die Gewehre auf ihre eigenen und eigentlichen Unterdrücker richten. Kautsky war darob entsetzt: „Ein Bürgerkrieg ist der schlimmste aller Kriege“, meinte er. Rosa Luxemburg wies ihn zurecht: „Man kann es drehen und wenden, wie man will, jeder Bürgerkrieg ist nur ein anderes Wort für Klassenkampf!“ Das genau hat sich aber nun, spätestens seit dem Zerfall der Sowjetunion, geändert: Wo man früher von Klassen und -bewusstsein sprach, ist heute von Nationen bzw. Nationalbewusstsein die Rede. Selbst linke so genannte „Bellizisten“ wollen damit keine Widerstandshandlungen von unten mehr befürworten, sondern genau das Gegenteil: Militäreinsätze von oben – zur Eindämmung von Bürgerkriegen. „Neues Denken“ nennt man das.

Um es kurz zu machen: Müsste es nicht zu den edelsten Pflichten einer Friedensbewegung gehören, dass sie – statt der ekelhaften Staatsmacht – die jüdischen Einrichtungen schützt? Ich denke dabei nicht an eine „Sicherheitspartnerschaft“, sondern an eine Permanentpräsenz, wie wir sie einst beim Georg-von-Rauch-Haus und für andere schutzbedürftige Objekte organisierten. Wahrscheinlich kommt dieser Vorschlag mindestens zehn Jahre zu spät und hätte daneben auch von den jüdischen Einrichtungen selbst kommen müssen, aber dazu sind sie zu staatstragend. Selbst der einst studentenbewegte Adass-Jisroel-Wiederbegründer fühlt sich wahrscheinlich durch die Bullen vor seiner Gemeinde offiziell wahnsinnig anerkannt. Dabei ist jeder, der die Bewachung von Einrichtungen zu seinem Beruf gemacht hat, schon für alle möglichen „Konfliktlösungen“ disqualifiziert. So viel sollten wir doch vom antiimperialistischen Schutzwall und seiner dreifachen Bewachung gelernt haben.