Wolfgang allein am Deich

■ Freitags ist Stempel-Tag im Blockland. Ein einsamer Polizei-Außenposten hält im Herzen des Bremer Outback die Wege für Anwohner kurz und unbefugte Autos an. Kaum etwas droht die Ruhe in einer der letzten Beamten-Idyllen der Stadt zu stören

Buten, Binnen, Blockland. Hier, wo Autos Mangelware sind, plätschert gemächlich die Wümme. Vorbei an grünen Rechtecken, kantenparallelen Entwässerungsgräben, saftigem Gras und matschigem Grund: Weideland, wohin das Auge blickt. Jenseits der Dammsiel-Schleuse im Herzen des Bremer Outback an einer Wegkreuzung mit Gasthaus wartet eine kleine Überraschung: die Polizei.

„Außenstelle Blockland“, der verlängerte Arm des Reviers Fin-dorff. Montag und Freitag, 9 bis 11 Uhr. Der „Montag“ auf dem Schild am Eingang ist schwarz überklebt. „Bis Mitte der 70er Jahre hat noch ein Kollege über der Amtsstube gewohnt und täglich hier gesessen, heute ist nur noch freitags geöffnet“, sagt Wolfgang Treder, Fin-dorffer Oberkommissar und seit zwei Jahren allwöchentlich auf dem Außenposten. Allwöchentlich? „Fast“, zwinkert Treder, „meist kommen wir nur alle zwei Wochen her.“

Doch wozu? Inmitten weidegrüner Stille, abgeschiedener Gehöfte und hölzernen Wochenendhäuschen mit schmucken Porzellan-Schafen im Vorgarten, scheint grün-weiße Staatsmacht überflüssig. Doch mit diesem Urteil liegt der unschuldige Beobachter ländlicher Idylle falsch.

Denn es gibt sie auch hier, die kleinen Sünden und Ordnungswidrigkeiten – im Verkehr: „Nicht jeder darf einfach so den Deich befahren, nur Anwohner und Berechtigte“, erklärt Treder. Der Deich, das ist die Blockländer Hemmstraße, die sich durchs Weideland im Landschaftsschutzgebiet schmiegt. Flach, kilometerlang, mit glattem Belag und ein paar Kurven ist sie an Wochenenden ein Magnet für Inline-Skater und Radfahrer. „Ein beliebtes Bremer Revier“, nennt Treder den Deich, und weiß: „Spätes-tens wenn Himmelfahrt ansteht, ist hier kein Durchkommen, dann flüchten selbst die Anwohner vor dem Ansturm.“

Doch weder Skater, Radler noch betrunkene Vatertagler sind der Grund für den Polizei-Außenpos-ten mit Amtsstube im Backsteinhaus der Freiwilligen Feuerwehr: Das Auto auf dem Deich ist das Corpus delicti. „Wer auf dem Deich fährt, braucht einen Deichschein“, erklärt Treder. Fehlt diese Zugangsberechtigung und machen Treders Kollegen mal wieder Stichprobe, sind satte 15 Euro Strafe fällig.

Zwar gibt es das Fahrbahn-Zertifikat auch im Bremer Amt für Straße und Verkehr sowie an allen umliegenden Polizeiwachen der Stadt, doch der Ein-Mann-Posten ist Freund und hilft, „damit die Anwohner hier nicht immer bis in die Stadt müssen“, sagt Treder.

Immer? Nicht immer, aber immer jährlich. Neben Tagesgenehmigungen für Besucher zum Preis von einem Euro, gibt's den Blockländer Deichschein auch im Jahresabo „für 13 Mark“, sagt Treder, stuzt und setzt „also für genau so viel in Euro“ nach. Hat etwa noch niemand verlängert in diesem, im neuen Jahr ... ?

Doch da kommt schon einer. Moin, verlängern bitte. Das Kennzeichen stimmt noch? „Ja, und richtig, ich habe Verwandte hier im Blockland, die ich häufig mit dem Auto besuche“, so Paul Treder. „Ach was, auch ein Treder?“, wundert sich der Oberkommissar nicht schlecht, „das passiert nicht oft.“ Da sitzen sie nun, Polizist Wolfgang und Deichschein-Verlängerer Paul, unter ihnen graues Linoleum, zwischen ihnen die orange-rote Tischlampe, die gut zur Adler-Schreibmaschine aus den späten 60ern hinten in der Ecke passt. Pommern, also.

Schnell haben die Treders die Herkunft des gemeinsamen Namens geklärt sowie der eine dem anderen den Schein verlängert. Tschüß, bis nächstes Jahr dann. „Tja, das mache ich hier“, sagt Polizist Treder, verstaut den Stempel luftdicht unterm Plastikdeckel und lehnt sich zurück. „Obwohl das gar nicht Aufgabe der Polizei ist“, stellt er fest.

Manchmal nimmt er sogar den Stapel Post für das Ortsamt Blockland mit, hin und wieder kommt einer der Blockländer Nachbarn zum Klönen vorbei. Polizisten zum Plauschen und als ländlicher Dienstleister. Doch mit dem Service könnte es bald vorbei sein, „Personalmangel“, sagt Treder und greift zur Zeitung. Daniel Satra