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: Alba Berlins neue Rolle in den Basketball-Play-offs

Platz für den Außenseiter

Würde ein Basketballspiel zehn Minuten dauern, es wäre eine imposante Demonstration der Stärke gewesen. 35 Punkte warfen die Spieler von Alba Berlin im ersten Viertel des Matches gegen Avitos Gießen zum Abschluss der Bundesliga-Hauptrunde, eine Zahl, die sonst locker für ein halbes Spiel reicht. Das musste sie auch, denn danach benötigte der amtierende deutsche Meister fast 30 Minuten, um dieselbe Punktzahl noch einmal zu schaffen und die Partie schließlich mit 83:62 zu gewinnen. „Das Niveau Berlins aus dem ersten Viertel sieht man in den Play-offs“, sagte Gießens Coach Joseph Whelton und beklagte, dass seine Mannschaft in dieser Phase „schrecklich verteidigt“ habe. „Als Berlin dann auf niedrigerem Niveau gespielt hat, waren wir zu weit hinten.“

Das machte aber nichts, denn die Hessen hatten ihren sechsten Tabellenplatz schon sicher und konnten die Partie in Berlin als Vorbereitung auf ihre in zwei Wochen beginnende Viertelfinalserie gegen Köln nutzen. Für das angeschlagene Team der Gastgeber ging es hingegen nach drei herben Niederlagen gegen die direkten Meisterschaftskonkurrenten aus Leverkusen, Frankfurt und Bonn darum, die reguläre Saison mit einem Erfolgserlebnis abzuschließen, Selbstvertrauen für die Pokalendrunde am kommenden Wochenende in eigener Halle zu schöpfen und die Chance zu wahren, als Tabellenvierter im kniffligen Viertelfinale gegen Leverkusen vielleicht doch noch Heimrecht für ein eventuelles entscheidendes fünftes Spiel zu erlangen. Ein dicker Batzen an Vorgaben, deren Erfüllung dank der Punkteflut in der Anfangsphase weitgehend gelang. Nur die Sache mit dem Heimrecht funktionierte nicht, weil Leverkusen gestern mit 105:102 gegen Bonn gewann, das auf den zweiten Rang rutschte und ab 20. April gegen Bamberg spielt. Die Frankfurt Skyliners treffen als Hauptrundensieger auf Hagen.

Titelverteidiger Alba Berlin dagegen startet erstmals in seiner jüngeren Geschichte als Außenseiter in die entscheidende Meisterschaftsphase. Selbst in seligen Vor-Pesic-Zeiten, als noch Bayer Leverkusen den Titel abonniert hatte und die Berliner den des Vizemeisters, waren sie immer aus einer stärkeren Position in die Play-offs gegangen. In der Ära von Svetislav Pesic als Chefcoach hatte Alba dann stets Heimrecht bis ins Finale gehabt, dieses Privileg allerdings kaum benötigt, sieht man von der Saison 98/99 ab, als die Berliner gegen Bonn ein fünftes Spiel brauchten. Die Bundesliga wurde quasi im Vorbeigehen erledigt, das Augenmerk galt den europäischen Meriten, ein Terrain, auf dem sich das Team – abgesehen von der aktuellen Euroleague-Saison, die sich schon vier Spieltage vor Abschluss der ersten Runde erledigt hatte – so glänzend behauptete, dass es für die kommende Spielzeit als einzige deutsche Mannschaft gesetzt ist, egal was in den Bundesliga-Play-offs passiert.

Seit Svetislav Pesic den Verein vor der letzten Saison verlassen hat, läuft es jedoch holpriger bei Alba Berlin. Das liegt nicht unbedingt am Trainerwechsel, sondern vor allem am Sparkurs, der danach verfolgt wurde. Gleichzeitig mit Pesic gingen Spieler wie Femerling, Okulaja, Dehere, Bogojevic, Hammink, die meist zu europäischen Spitzenklubs wechselten, aber nicht durch europäische Spitzenspieler ersetzt wurden. Stattdessen sollte es der eigene Nachwuchs richten. Ein Konzept, das bis heute kaum funktioniert. Wenn es eng wird, setzt Coach Emir Mutapcic fast ausschließlich auf seine Routiniers Rödl, Alexis, Phelps, Lütcke, Zidek und Marko Pesic, was dazu führt, dass eine alte Stärke der Berliner, die effektive Bank, komplett verloren gegangen ist. Möglicherweise ein Grund, warum in dieser Saison viel mehr enge Spiele verloren gingen.

Da gleichzeitig die nationale Konkurrenz besser geworden ist, hagelte es, verglichen mit den letzten Jahren, in der Bundesliga förmlich Niederlagen – stolze acht Stück gab es, während es vergangene Saison nur eine war. Der Respekt der Rivalen vor dem fünfmaligen Champion ist dahin, vor allem bei den anderen vier Topteams, gegen die es in acht Spielen nur drei Siege gab. Ausgerechnet gegen Albas ersten Play-off-Gegner Bayer gingen sogar beide Partien verloren und zwar drastisch.

Entsprechend angeknackst ist das eigene Selbstbewusstsein, und es klingt fast trotzig, wenn Emir Mutapcic beteuert: „Wir können Top-Basketball spielen und Erster werden.“ Das Rezept hat er auch schon parat: „Mit der Einstellung wie gegen Gießen nicht nur 10 Minuten, sondern 40 Minuten spielen.“ In der Tat: 140 Punkte, das sollte gegen jeden Gegner reichen.

MATTI LIESKE