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: „Wir sind verrückt geworden“

Rotes Quadrat: „Im Schatten des Schakals“ (ARD, 21.45 Uhr)

Aus Revolutionären wurden Auftragskiller. Spätestens mit dem Anschlag auf den Münchner Sender „Radio Free Europe“ im Jahr 1981 verabschiedeten sich die Terroristen um den legendären Venezolaner „Carlos“ von jeglichem linksradikalem Anspruch – das Sprengstoffattentat verübte die Gruppe im Auftrag von Rumäniens Diktator Nicolae Ceaușescu. Dem hatte die regimekritische Berichterstattung des Senders über sein Land missfallen. Der Vorfall als solcher ist zwar nicht neu, er ist seit der Öffnung der Stasi-Archive hinreichend bekannt – bisher unbekannt ist allerdings eine Aussage der früheren Carlos-Geliebten Magdalena Kopp. In der Dokumentation „Im Schatten des Schakals“ erklärt sie, dass ihr Carlos’ rechte Hand – der Deutsche Johannes Weinrich – bei einem Spaziergang im syrischen Damaskus schon Mitte der Achtzigerjahre gestanden habe: „Wir sind verrückt geworden.“ Es ist der erste öffentliche Auftritt der Exgefährtin von Carlos – auch andere wie der Mitbegründer der Revolutionären Zellen, Gerd Schnepel, kommen in dem Film mit dem Untertitel „Die deutschen Terroristen hinter Carlos“ erstmals zu Wort. Der ungarische Ex-Geheimdienstchef József Varga berichtet etwa, wie der Carlos-Trupp in Budapest unter ständiger Beobachtung gehalten wurde. Und dass dieser mit Hilfe einer Finte aus dem Land hinauskomplimentiert wurde, als es nicht mehr opportun war, Terroristen weiter zu beherbergen.

So gesehen ist „Im Schatten des Schakals“ eine aufwendige und gut recherchierte Dokumentation. Und gerade deshalb ist es etwas merkwürdig, dass der Name der Carlos-Gruppe „Organisation internationaler Revolutionäre“ – sie wurde 1977 gegründet – nicht ein einziges Mal in dem 45-minütigen Film der Autoren Oliver Schröm und Michael Wech vorkommt. Auch wird ständig auf die „Revolutionären Zellen“ verwiesen (RZ) – so als ob diese voll und ganz hinter Carlos gestanden hätten. Das Gegenteil war der Fall, die RZ spalteten sich über die von Illich Ramírez Sánchez veranlassten Terrorschläge.

Präziser ist da das Buch, das Schröm gleichnamig zum Film verfasst hat und das in diesen Tagen im Christoph Links Verlag erscheint. WOLFGANG GAST