„Strafrecht auch stutzen“

Die scheidende Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, über Spaß am Job, die Entschärfung des Terrorismusparagraphen 129a, das Schächten und das Amt des Bundespräsidenten

taz: Frau Limbach, hat Ihnen die Arbeit in den letzten Wochen besonders Spaß gemacht?

Jutta Limbach: Wieso fragen Sie?

Sie wirkten noch volksnäher als sonst. „Meine Herren, worum streiten Sie eigentlich?“, fragten Sie im Airbus-Verfahren die Politiker Friedrich Merz und Rudolf Scharping

Interessant. Vielleicht bekommt man ja zum Schluss der Amtszeit noch mal eine gewisse Gelassenheit. Mir ist aber kein Unterschied aufgefallen. Ich habe meine Arbeit hier immer gerne gemacht.

Im Stillen werden Verfassungsrichter wohl von vielen Politikern beneidet. Sie treffen wichtige Entscheidungen, können auch heikle Reformen anschieben und sind doch hoch angesehen.

Ja, es ist schon bemerkenswert: Wenn gefragt wird, in welche Institutionen die Bürger Vertrauen haben, liegt das Bundesverfassungsgericht regelmäßig an der Spitze, mal zusammen mit der Polizei, der Bundeswehr oder früher mit der Bundesbank, aber wir sind fast immer ganz oben.

Sie lesen solche Umfragen also regelmäßig?

Wenn sie auf meinem Tisch landen, warum nicht? Ich bin schließlich auch Rechtssoziologin und daher sozialwissenschaftlich interessiert.

Ein Tiefstand im Ansehen des Gerichts war im Jahr 1995, nach den Urteilen zu bayerischen Schul-Kruzifixen und zum pazifistischen Bekenntnis „Soldaten sind Mörder“ …

Ja, aber selbst diese Talfahrt währte nur vier Monate, wenn ich mich recht erinnere, dann hatten wir bei der Bevölkerung schnell wieder gute Noten.

Was empfinden Sie heute, wenn Tierschützer schreiben, man solle eher die Richter schächten als die Tiere?

Das war eine Einzelzuschrift. In der Regel können Kritiker von dieser Seite durchaus zwischen der Entscheidung zum Schächten, die sie ablehnen, und dem Gericht, dem sie respektvoll begegnen, unterscheiden. Und das Verständnis wächst, wenn ich erkläre, dass nicht dieses Urteil das Schächten erstmals erlaubt hat, sondern dass es sich um eine Ausnahmebestimmung im Tierschutzgesetz handelt, die bisher gleichheitswidrig angewandt wurde.

Einige der aktuellen Verfassungskonflikte entstanden, weil die rot-grüne Mehrheit versucht, Verfahrensregeln bis an den Rand des Möglichen zu dehnen …

Falls Sie dabei auch auf den Airbus-Streit anspielen: Das Budgetrecht des Parlaments ist kein bloßes Verfahrensrecht, sondern eine Kernbefugnis des Bundestags.

Eine Verfahrensfrage ist aber, wie die Stimmen bei einer Abstimmung im Bundesrat zusammengezählt werden – Stichwort Zuwanderungsgesetz. Ist unsere Demokratie stabil genug, solche Konflikte auszuhalten?

Gewiss. In einer Demokratie gibt es immer wieder Phasen zugespitzten, auch verfassungsrechtlichen Streits. Das hält sie aus.

Die angespannte Sicherheitslage nach dem 11. September hat bisher vor allem zu härteren Gesetzen geführt. Als Ausgleich wollen SPD und Grüne jetzt den Terrorismusparagraphen 129a entschärfen; das bloße Werben für eine Vereinigung soll künftig nicht mehr als Terrorismus bestraft werden. Das hatten Sie als Berliner Justizsenatorin schon vor mehr als zehn Jahren vorgeschlagen. Freuen Sie sich nun?

Ja, man darf das Strafrecht nicht immer nur verschärfen, sondern muss es auch mal stutzen, wenn sich eine Bestimmung nicht bewährt hat. Und Paragraph 129a war insoweit zu unbestimmt und zu weit im Vorfeld von tatsächlichen Straftaten angesiedelt.

An der Spitze des Bundesverfassungsgerichts mussten Sie sich politisch stark zurücknehmen. Können Sie in Ihrer neuen Position am Goethe-Institut wieder mehr Flagge zeigen?

Parteipolitisch werde ich mich weiter zurückhalten. Das wurde wohl auch bei meiner Wahl erwartet. In anderen Bereichen kann ich mich aber freier äußern, weil ich nicht mehr die Befangenheit in späteren Verhandlungen befürchten muss. So werde ich etwa im Herbst bei einem Kongress zum Thema „In Würde sterben“ sprechen.

Viele Menschen halten Sie nach wie vor für die Idealbesetzung als erste Bundespräsidentin dieses Landes …

Darauf brauchen Sie mich gar nicht erst anzusprechen. Schon aus Respekt vor dem Amt des Bundespräsidenten und seinem Inhaber verbietet sich derzeit jede Überlegung zu seiner Nachfolge. INTERVIEW: CHRISTIAN RATH