Keine Penner vom Hauptbahnhof

Schauprozess um Justizbehördenbesetzung mit ranghohen Beamten als Statisten  ■ Von Kai von Appen

Das wollte sich Klaus-Ulrich Tempke – Richter der Kategorie Schill & Co beim Amtsgericht Hamburg – nicht entgehen lassen. Einerseits als Zeichen fürs lasche Kollegium, andererseits um die alte SPD-Justizbehörden-Führung vorzuführen. Obwohl gegen 39 türkische Männer und Frauen von der Staatsanwaltschaft die Verfahren wegen Hausfriedensbruch mit Strafbefehlen von 600 Mark erledigt worden sind, mussten sich gestern fünf TürkInnen wegen eines Go-ins in die Justizbehörde verantworten. Ihr Problem: Die Nachnamen der Angeklagten beginnen mit „A“ und fallen in Tempkes Zuständigkeitsbereich. Tempke hatte sich geweigert, ihre Strafbefehle im Gegensatz zu seinen KollegInnen ohne Verhandlung zu unterzeichnen.

Tätsachlich hatte die Besetzung am 14. Dezember 2000 für Furore gesorgt und war politisch als versuchte Geiselnahme aufgebauscht worden. Dabei wollten die knapp 50 AktivistInnen nur eine Audienz bei Senatorin Lore-Maria Peschel-Gutzeit, damit diese sich für die politischen Gefangenen in türkischen Knästen einsetzt. Aber da die SPD damals im Vorwahlkampf das Thema Innere Sicherheit entdeckt hatte, beharrte Innensenator Hartmut Wrocklage unmittelbar nach dem gewaltlosen Eindringen der ungebetenen BesucherInnen gegenüber Duzgenossin „Lore“ auf die polizeiliche Räumung und forderte sie zur Flucht auf.

Daher lag die Verantwortung bis zum Sturm durch das Mobile Einsatzkommando bei der Polizei: Eine polizeiliche Räumungsaufforderung gab es nicht. „Ich hatte von einer Räumung abgeraten“, sagte Hausrechtsinhaber und Amtsleiter Johannes Düwel. „Der Großteil der Besetzer war bereit, die Behörde ohne Personalienfeststellung zu verlassen, doch die Polizei hatte von der Innenbehörde Order, dies zu verhindern.“

Das aber interessierte Tempke nicht: „Ist es eine sachgerechte Entscheidung der Senatorin, die Behörde bei einer Besetzung zu verlassen“, fragte Tempke Peschel-Gutzeits persönliche Referentin Wiebke Hoffelner. „Andere Senatoren fahren zum Tatort, sie verläßt den Tatort.“ Dieselbe Frage an Peschel-Gutzeit persönlich. „Ein Kapitän bleibt doch bis zuletzt an Bord?“ „Ich habe den Rat von der Polizeiführung und dem Innensenator bekommen“, erwiderte sie schnippisch: „Er befürchtete eine Geiselnahme.“ Die befürchtete Staatsrat Hans-Peter Strenge, der wie Düwel mit den Betroffenen direkt verhandelte, zwar nicht, fand die Entscheidung aber in Ordnung. „Ich war gewohnt mit solchen Situationen umzugehen, so dass ich an Bord geblieben bin.“

Nach der Politschau folgte dann doch noch das schnelle Ende: Obwohl Staatsanwältin Pickert das gleiche Strafmaß wie in den 39 Strafbefehlen forderte, verknackte Tempke die Hausfriedensbrecher, die ohnehin die unnützen Prozess-kosten zu tragen haben, zu Geldstrafen in gleicher Höhe – aber in Euro. Tempkes Begründung:„Sie sind keine einfachen Penner vom Hauptbahnhof“.