Raketen treffen Flüchtlingslager

In Dschenin im Westjordanland bombardiert Israel laut Augenzeugen Wohnhäuser. Palästinenser berichten auch von „kaltblütigen Exekutionen“

aus Jersusalem SUSANNE KNAUL

Den Prognosen des israelischen Militärs zum Trotz, die Operation im Raum Dschenin könne „innerhalb von ein bis zwei Tagen beendet sein“, dauert der Widerstand im Flüchtlingslager und in der Stadt an. Mindestens zwölf Soldaten wurden bei den Kämpfen getötet. Über die Opfer auf palästinensischer Seite herrschte zunächst Unklarheit.

Bereits am Wochenende berichtete der israelische Armeerundfunk von „mindestens 70“ Getöteten. Palästinensische Beobachter rechnen unterdessen mit „hunderten Toten“. Militärberichten zufolge, kämpfen etwa 100 bewaffnete Palästinenser, die offenbar der islamisch-fundamentalistischen Bewegung Dschihad angehören, gegen die erneute Belagerung.

Von einer „Politik der verbrannten Erde“ sprach gestern das Palästinensische Medienzentrum mit Blick auf die Aktion im Flüchtlingslager von Dschenin. Die Invasion in der vergangenen Woche war offenbar von Israels Stabschef Schaul Mofas persönlich geleitet worden. Dschenin gilt als „Hochburg des Dschihad“. Ganze Häuserreihen seien dem Erdboden gleichgemacht worden, heißt es in einer Mitteilung des Medienzentrums: „Zig Tote und Verletzte blieben unter Geröll und Schutt liegen.“ Rettungswagen seien nicht in das Lager vorgelassen worden. Zum ersten Mal habe die Armee auch Hubschrauber eingesetzt und Wohnhäuser bombardiert, in denen Kämpfer vermutet wurden. Erst habe die Armee die Bevölkerung über Lautsprecher aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen und sich auf dem zentralen Platz zu versammeln, berichtete die Agentur AFP unter Berufung auf Augenzeugen. Dann hätten Hubschrauber mindestens 25 Raketen abgefeuert.

Das palästinensische Medienzentrum erklärte, Augenzeugen hätten die „kaltblütige Exekution“ von fünf Männern beobachtet, die vor den Augen ihrer Familien an eine Wand gestellt und „aus kurzer Distanz“ erschossen worden seien. Unter den Getöteten seien zwei 70 Jahre alte Männer. Das Flüchtlingslager von Dschenin gehört mit 15.000 Einwohnern zu den größten der insgesamt 19 Lager im Westjordanland, die vor allem 1948 nach dem israelischen Unabhängigkeitskrieg und 1967 im Anschluss an den Sechs-Tage-Krieg eingerichtet wurden. Nach Schätzungen der UN leben heute 600.000 Palästinenser in den Lagern im Westjordanland. Die Bevölkerung ersetzte zunächst errichtete Zelte durch Steinbaracken, die auf engem Raum in Reihen aneinander gebaut sind.

Auf Widerstand stießen die Besatzungssoldaten außer im Raum Dschenin auch in Nablus, wo, Berichten zufolge, Hamas-Aktivisten in der Altstadt den Kampf anführen. „Von Zeit zu Zeit stoppen wir die Kämpfe, um den Terroristen zu ermöglichen, sich zu ergeben“, erklärte gestern General Dan Harel, Chef der militärischen Operationsabteilung. Dem israelischen Militär zufolge ergaben sich gestern rund 100 bewaffnete Palästinenser in Nablus. Die Städte Kalkilia, Tulkarem, Ramallah und Bethlehem seien inzwischen unter Kontrolle.

Allerdings kam es vor der Geburtskirche in Bethlehem am Morgen zu einem Schusswechsel, bei dem mindestens zwei palästinensische Polizisten verletzt wurden. Die israelische Armee spricht von „ungefähr 200 Terroristen und bewaffneten Männern“, die „einige Priester und Nonnen als Geiseln halten“. Insgesamt seien über 2.000 Palästinenser verhaftet worden. Einige 100 befänden sich bereits wieder auf freiem Fuß, nachdem Untersuchungen ergeben hätten, dass die Männer Sicherheitsbeamte der Palästinensischen Autonomiebehörde seien, die „nichts mit Terror zu tun haben“.