Reale Schüler ohne Chancen

Ärger um Fachoberschulen: Viele freie Lehrstellen – bei Hochschulreife  ■ Von Sandra Wilsdorf

Politik muss man sich hier und heute so vorstellen: Geht ein Bildungssenator zu seinem Kumpel von der Handelskammer und der erzählt ihm, dass in diesem Jahr noch 1000 Ausbildungsplätze zu haben sind. „Hmmh“, denkt der Senator, „und warum gehen dann so viele Jugendliche auf die Fachoberschule, wo sie doch gleich zu arbeiten anfangen könnten?“ Ein Mann, ein Gedanke, ein Wort: Niemand solle mehr Fachoberschulen besuchen, und auch die erst im vergangenen Jahr eingerichtete Berufsfachschule für Handel und Industrie solle geschlossen werden.

Wegen der einsamen Entscheidung, FOS und HUI zu schließen, wird Bildungssenator Rudolf Lange (FDP) nun kräftig kritisiert. Auch von Mitgliedern der Deputation der Schulbehörde, denn die wurde mit dem Thema bisher nicht befasst und spricht heute zum ersten Mal darüber. Allerdings unter „Verschiedenes“ und nur auf Antrag der SPD-Deputierten Meike Jensen und des GAL-Vertreters Armin Oertel. Meike Jensen ist empört: „Wir sind Teil der Behördenleitung und als solche erwarten wir, in Entscheidungen einbezogen zu werden.“ Sie hält es für „völlig unmöglich“, einen solchen Beschluss mitten in der Anmelderunde zu treffen.

Auch das Arbeitsamt war offenbar nicht einbezogen: „Ich halte die Entscheidung zwar für grundsätzlich richtig, aber den Zeitpunkt für problematisch“, sagt Hans-Otto Bröker, Leiter der Berufsberatung. Das Arbeitsamt würde momentan die Folgen „in voller Härte“ zu spüren bekommen: Eltern und Jugendliche müssen sich neu orientieren. Die Wartezeit auf eine ausführliche Berufsberatung betrage aber je nach Bezirk zweieinhalb bis fünf Wochen. „Ich bin nicht sicher, dass die Behörde das durchhält, zumal sie sich auch juristisch auf ziemlichem Glatteis bewegt.“ Denn Jugendliche sind elf Jahre lang schulpflichtig. Wer auf die FOS gehen wollte und nun keinen Ausbildungsplatz mehr bekommt, kann der aber unter Umständen nicht nachkommen. Generell jedoch spricht auch Bröker von einer „besonders günstigen Relation“ auf dem Lehrstellenmarkt: Auf 100 Bewerber kommen 134 freie Stellen.

Auch die Handelskammer bietet in ihrer Lehrstellenbörse noch für dieses Jahr etwa 1000 freie Ausbildungsplätze in den verschiedensten Berufen an. Doch ein genauer Blick zeigt: Bei vielen dieser Stellen haben RealschülerInnen keine Chance. Versicherungen und Banken wünschen sich meistens Hochschulreife, viele Betriebe verlangen volljährige Auszubildende, und für die Ausbildung zur Drogistin wünscht auch Budnikowsky die Fachhochschulreife.

Das Hamburger Arbeitsamt gab gestern auch die monatlichen Arbeitslosenzahlen bekannt: Gegenüber dem Februar sank die Arbeitslosenquote zwar von 9,1 auf 9,0 Prozent, doch dieser Rückgang ist die schwächste Frühjahrsbelebung seit 17 Jahren. Dass Hamburg ein Dienstleistungszentrum ist, wird zum Problem: So nahm die Zahl der arbeitslosen Werbekaufleute um 58, die der Datenverarbeitungsfachleute um 125 und die der Dolmetscher und Publizisten um 66 Prozent gegenüber 2001 zu.

GEW und SchülerInnenkammer rufen zu einem Protestmarsch gegen die Schulschließungen auf. Treffpunkt: Heute, 13.30 Uhr, Ecke Alsterufer/Kennedybrücke