Billy ist wütend

Ausufernder Kopfpunk aus dem Land der Selbstbauregale: Die schwedische Band Kevlar spielt im Magnet

Punkrock und Bier gehören zusammen. Da ist es nur logisch, dass sich die Mitglieder einer Punkband beim Bierkaufen im Supermarkt kennen lernen. Doch im Falle der schwedischen Band Kevlar lief alles ein wenig anders: Magnus Öberg und Johan Sellman mussten den Supermarkt aufgrund ihrer Minderjährigkeit mit leeren Händen verlassen. Ohne Bier, doch mit viel Wut im Bauch machten sie fortan zusammen Musik. In ihren wechselnden Bandprojekten entwickelten sie über die Jahre einen eigenen, ebenso emotionalen wie kopfbetonten Sound. Aus dem ersten Projekt Shredhead wurde Starmarket und, 1998, schließlich Kevlar.

Mittlerweile sind Kevlar zu viert und längst alt genug, um Bier zu trinken. Doch heben sie sich auf ihrem mittlerweile dritten Longplayer wohltuend von eben jener Bierseligkeit ab, die bekanntere schwedische Punkrockbands verbreiten. „The Great Collapse“, auf dem Hamburger Label Sticksister erschienen, ist eine merkwürdige Platte. Die zehn Songs sind nicht kurz und knackig, sondern eher lang und ausufernd. Lässiges Gitarrengeschrammel mit melodiösem Gesang türmt sich zu hymnischen Klanggebilden auf, um kurz darauf von einer heftigen Noise-Attacke durchbrochen zu werden.

Man fühlt sich an New Yorker Hardcore-Bands wie Fugazi oder Jawbox erinnert, um beim nächsten Song gleich wieder an Sonic Youth oder gar Pavement zu denken. Kevlar reiten offensichtlich nicht auf der gegenwärtigen skandinavischen Punkrock-Welle, sie bewegen sich gekonnt zwischen Gitarrenwänden und Popmelodien, zwischen Aggressivität und Melancholie. Die rohe Energie schrubbender Gitarren wechselt sich mit mehrstimmigen Chören ab und wird von sparsamen Keyboard-Einsätzen und dezenten Bassläufen unterlegt.

Dass die Stilmischung dabei nicht konfus oder beliebig wirkt, ist vor allem den Texten zu verdanken. Denn in Songs wie „Label Ate Man“ wird deutlich, worum es geht: „Label ate man (…) dead from head to toe. He’s digested, now he’s gone. (…) Abort mission, we’re all screwed and left to die in sealed shut rooms, dropped at Square One. What I thought was worth fighting for was just wasted ammunition into something unbreakable.“

Ludwig Franzen, Johan Sellman, Matthias Rask und Magnus Öberg sind wütend. Und sie haben den Mut, ihre Wut in klare Worte zu fassen und Themen wie die Industrialisierung des Musikgeschäfts anzusprechen. Das mutet angesichts der abgeklärten Haltung anderer Bands altmodisch, aber sehr sympathisch an. Hier ist „Retro“ als Rückbesinnung auf alte Werte des Punk/Hardcore zu verstehen und nicht als bloß ironisches Spiel mit zornigen Posen alter Helden. „The Great Collapse“ ist eine großartige Platte, die rockt, ohne das Hirn auszuschalten. Es ist eben doch gut, dass Kevlar mit der Musik angefangen haben und nicht mit dem Bier. NINA APIN

10. 4., 21 Uhr, Magnet, Greifswalder Str. 212–213, Prenzlauer Berg