Polizei macht Demonstranten unsichtbar

Beamte verhindern, dass Chinas Präsident Protest zu sehen bekommt, während Jubel-Chinesen ungestört Fähnchen schwenken dürfen

Amnesty international wirft der Polizei eine massive Einschränkung des Demonstrationsrechts vor. Die Menschenrechtsgruppe wollte gestern aus Anlass des Besuchs des chinesischen Staats- und Parteichefs Jiang Zemin vor dem Roten Rathaus gegen die Menschenrechtsverletzungen in China protestieren. „Mit Polizeifahrzeugen wurden wir so abgeschirmt, dass Jiang uns vom Rathaus aus nicht sehen konnte“, sagte Julia Kraft von amnesty international der taz. Sie hatte die Mahnwache angemeldet.

Jiang Zemin, der für die massiven Menschenrechtsverletzungen in China Verantwortung trägt, trug sich am Vormittag ins Goldene Buch der Stadt ein. Mit der Polizei sei am Montag eine Mahnwache am Neptunbrunnen in Sichtweite des Rathauses vereinbart gewesen, so Kraft. Doch als die 15 Demonstranten sich aufgestellt hätten, seien sie in ein von der Polizei präpariertes Areal gedrängt worden. Dort verhinderten Polizeibusse den Anblick der Demonstranten vom Rathaus aus. Da für amnesty international die Sichtbarkeit aber zentral gewesen sei, habe man nach erfolglosem Protest bei der Polizei die Mahnwache abgebrochen, so Kraft.

Der Sprecher des Einsatzleiters der Polizei bestätigte das Aufstellen der Fahrzeuge und rechtfertigte dies mit den „Sicherheitsgründen, die sich aus der Gefährdungsstufe des Staatsgastes ergaben.“

Die Demonstranten mischten sich anschließend unter Passanten und etwa einhundert „Jubel-Chinesen“, denen die Polizei das Schwenken deutscher und chinesischer Fahnen näher am Rathaus und für Jiang sichtbar gestattet hatte. „Bei denen war davon auszugehen, dass von ihnen keine Störung ausgeht“, sagte der Polizeisprecher zur Begründung.

Als die Demonstranten hier ihre Transparente hoch halten wollten, wurden sie von Polizisten daran gehindert, die zudem die Demonstranten mit ihren Körpern verdeckten. „Es ist klar, dass es nicht um die Sicherheit ging, sondern zu verhindern, dass Jiang Demonstranten wahrnimmt“, sagte amnesty-Aktivist Dirk Pleiter. „Der Schutz vor Kritik an Menschenrechtsverletzungen kann aber nicht der Sinn von Sicherheitsstufe 1 sein.“

Schon bei Jiangs Besuch in München 1995 waren Demonstranten gegen ihren Willen hinter Polizeifahrzeugen versteckt worden. Ein von amnesty international angerufenes Gericht wertete dies später als „Einschränkung der Demonstrationsfreiheit“. Auch jetzt erwägt amnesty wieder rechtliche Schritte.

An mehreren Orten der Stadt gab es gestern kleinere Proteste von Falun-Gong-Anhängern, Uiguren, Tibetern, Dissidenten und Menschenrechtsorganisationen. Den Protesten gemeinsam war, dass sie jeweils nur außerhalb der unmittelbaren Sichtweite Jiangs genehmigt worden waren. SVEN HANSEN