Die rot-roten Berliner Lügenbolde

Von den großen Wahlkampfworten über die Bedeutung von Bildung für die Hauptstadt ist wenig geblieben. Die SPD-PDS-Koalition hat verheerende Kürzungsideen für Kindergärten, Schulen und Hochschulen ausgebrütet

„Es ist blanker Irrsinn, wie der Senat bei den Kindergärten der Stadt kürzt“

BERLIN taz ■ Es war das hübscheste Wahlplakat der letzten Kampagne. „Mehr M@use für die Schulen“, klebte die PDS in Berlin. Die heutige Regierungspartei signalisierte damit dreierlei: wie wichtig ihr das Thema Bildung sei. Dass sie für Schulen die modernste technische Ausstattung wolle – und dass sie dafür künftig mehr Geld ausgeben würde. Auch die SPD, der große Koalitionspartner, lockte die Wähler mit Bildung an die Urnen.

Mehr M@use – das war zugleich die bitterste Lüge des Berliner Wahlkampfs. Wenige Monate nach der Wahl zum Abgeordentenhaus ist von den großen Worten wenig geblieben. An Schulen, Hochschulen und Kindergärten der Stadt wird empfindlich gekürzt. Ihre Wahlversprechen verkleiden die rot-roten-Lügenbolde mit semantischer Akrobatik. Klaus Wowereit (SPD) etwa, der Regierende Bürgermeister, formuliert es so: Dass Bildung für seinen Senat Priorität habe, sehe man schon daran, dass dort nur die Hälfte von dem eingespart wird, was andere Ressorts hinnehmen müssten.

Die feinsinnige Unterscheidungskunst des Regierenden findet in der Stadt keinen Applaus. „Blanker Irrsinn, was die bei den Kitas machen“, lässt etwa der Paritätische Wohlfahrtsverband wissen. Der Leiter des renommierten Canisius-Gymnasiums, Pater Klaus Mertes, echauffierte sich über das Sonderopfer der Schulen. Und der Gesamtpersonalrat der Freien Uni beschwerte sich direkt beim Bundeskanzler: Die Berliner SPD richte mit den Hochschulkürzungen „nicht bezifferbare volkswirtschaftliche“ Schäden an.

Die miserablen Ergebnisse der Bildungsstudie Pisa haben den Ärger eher noch verstärkt. Sie lieferten den Regiermeistern eigentlich beste Argumente für ihr Stimmenfängerthema „Bildung ist wichtig“ – doch die SPD-PDS-Koalition dachte zu keinem Zeitpunkt so, wie sie es auf ihren Wahlplakaten behauptet hatte. Schulsenator Klaus Böger (SPD) hatte von der ersten Minute der Koalitionsverhandlungen an Schwerstarbeit zu verrichten – sonst hätten die Bildungseinrichtungen sogar noch stärker für das Pleitebudget der Stadt bluten müssen.

Die Einsparungen, die im Zuge eines Doppelhaushaltes für die Jahre 2002 und 2003 realisiert werden sollen, sind drastisch. Zwischen 30 und 90 Millionen Euro müssen die Kitas, die Schulen und Hochschulen aus ihren Etats streichen. Vor allem von ihrer Symbolik her sind die Kürzungen verheerend.

Die rot-roten Bildungsexperten diskutierten etwa kurz nach ihrem Bildungswahlkampf darüber, den medizinischen Teil der Freien Universität komplett zu schließen – eine Debatte, die Berlins Ruf in der Science Community weit über die Stadt hinaus beschädigte. Die Koalitionäre gingen sodann den freien Schulen an den Hals – jenen Bildungseinrichtungen also, die im heruntergekommenen Berliner Schulsystem noch das Beste sind.

Und Rot-Rot plant die Ausbildung von ErzieherInnen zu verschlechtern – in dem Moment, da internationale Experten dringend mahnen, die Qualifikation deutscher KindergärtnerInnen endlich zu verbessern. Dass das gleiche Land Berlin parallel dazu versucht, den Bundesrat für den Modellversuch einer akademischen Erzieherausbildung zu gewinnen, verbuchen die Kultusbeamten anderer Länder als das übliche Berliner Chaos.

Die Aufregung und die innere Empörung der Betroffenen geht weit über das übliche Maß hinaus. Was die Leute auf die Palme bringt, ist die Chuzpe und die Härte, mit der – nach einem expliziten Bildungswahlkampf – die Kürzungen begründet werden. Bürgermeister Wowereit hielt der konsternierten Wissenschaftsgemeinde der Stadt wochenlang unter die Nase, er lasse über jede Kürzung mit sich reden – bloß die Einsparung des Uniklinikiums sei nicht mehr diskutierbar. Wowereits Mitstratege für den Regierungswechsel, SPD-Parteichef Peter Strieder, bewies besonderes Fingerspitzengefühl. Die freien Schulen, so sagte er, hätten zwar die engagiertesten Eltern der Stadt. Dennoch seien sie es, die jetzt statt der öffentlichen Schulen auf einen Teil ihrer Zuschüsse verzichten sollten. CHRISTIAN FÜLLER