Auferstehung in Schwarz-Blond

Erstarrt: Wie Nico hört sich Karin Klein in einer Hommage im Hebbeltheater an. Doch über Ikonenverehrung kommt „Nico. Sphinx aus Eis“ nicht hinaus

von HARALD FRICKE

Zuletzt sah sie wie eine freundliche, ältere Frau aus, die einiges durchgemacht hat in ihrem Leben. In weiten Gewändern saß sie hinter dem Harmonium, lächelte im Quartier Latin manchmal den Fotografen zu, blieb sonst aber still in sich gekehrt. Nico hätte im Herbst 1986 auch Neil Young sein können, jedenfalls war sie mit ihren 48 Jahren nicht mehr der Drogendämon, der im Scheinwerferkegel zigarettenrauchend vom Ende sang. Zwei Jahre später dann der Tod: Ein Fahrradunfall auf Ibiza, Hirnblutung im Juli. Sehr seltsam.

Für den Schriftsteller Werner Fritsch ist sie nie gestorben, sondern immer schon zwischen lebendem Tod und totem Leben in der Schwebe gewesen – eine „Sphinx aus Eis“. Das ist der Titel eines Programms aus Monolog, Liederabend und Videoperformance. Weil Nico auf dem Höhepunkt der Karriere „ihre äußere Schönheit, die Masken und Kostümierungen des Supermodels hinter sich gelassen hat“, wollte Fritsch zeigen, wie es zu diesem Wandel kam: wie sie vom Chanel-Starmannequin zum „Chelsea Girl“ in Warhols Factory wurde und später zur masochistischen Geliebten von Jim Morrison, der sie auf Heroin brachte.

Es ist ein Best-of aus Divenlegende und Junkiebiografie geworden, ein Parforceritt durch ein kaputtes Leben in 90 Minuten. Schwer hängt Trockeneisnebel im dämmrigen Raum. Am Klavier sitzt Ari Benjamin Meyers, der den Soundtrack zum Abend ausgearbeitet hat: Ein bisschen Doors, Velvet Underground, Geigensägen und Computerkrach. Manchmal klöppelt er brüchige Tonfolgen auf einem Zylophon.

Im Zentrum aber steht Karin Klein, reglos die meiste Zeit, mit blonder Perücke und wadenlangem schwarzen Ledermantel, den Nico zur Beerdigung von Warhol trug. Es ist eine Wiedererweckung, ganz klar, so beängstigend genau hat sich Klein in Nico hineinversetzt – auch in ihre Apathie. Der brummende Bass einer von Marlboros aufgerauten Stimme, der mit bleierner Zunge vorgetragene deutsche Akzent in ihrem Schulbuchenglisch, die merkwürdigen Hebungen am Ende der Sätze, als wären die eigenen Bekundungen nur mit einem Fragezeichen zu ertragen – immer scheint Nico aus Klein zu sprechen, scheint die Schauspielerin nur ein Gefäß zu sein, das den Mythos zum Klingen bringt. Wer die Augen schließt, hört nicht die mühevoll aus Interviews und Plattenaufnahmen zusammengetragene Materialcollage, sondern das Original.

Wenn man die Augen öffnet, kommen Zweifel. Treten nicht im Estrel-Hotel ständig Imitatoren auf, die Elvis, Elton John oder Madonna nachahmen? Ist nicht das Spiel mit Lookalikes und Doppelgängern immer schon eine kitschige Übersteigerung von Pop gewesen, die Karikatur des Echten im Glanz des falschen Scheins?

So läuft auch die inszenierte Nico bei Fritsch und seinem Regisseur Thomas Krupa ständig Gefahr, ins Kleinkunsthafte abzukippen. Denn über die bekannten Fakten hinaus hat ihre Hommage nicht viel zu erzählen. Dass Nico als Christa Paeffgen 1938 in Köln geboren wurde, dass sie als Model begehrt war und sich über Warhol ärgerte, weil er sie nicht als Göttin angebetet hat, das alles zählt längst zum Einmaleins jedes besseren Rocklexikons.

Selten entwickelt Fritsch daraus eine Geschichte, in der Nico einmal über Nico nachdenken würde – wer den eigenen Sohn anfixt, müsste doch ein paar Zweifel mehr haben an seiner Welt. Statt einer Auseinandersetzung mit dem ungeliebten Leben belässt das Stück es bei der Ikonenverehrung aus einem sehr männlichen Blickwinkel. Vermutlich hätte Nico nichts gegen diese Sichtweise gehabt, schließlich lautete ihr Resümee: „Ich bedauere nichts, außer dass ich als Frau geboren wurde.“ Mehr hat „Sphinx aus Eis“ dem Drama der Sängerin, die sich nie bei sich selbst, sondern immer im Exil fühlte, nicht hinzuzufügen. Vielleicht hätte ein Stück aus dem Alter geholfen: „My Funny Valentine“ zum Beispiel, das Nico 1984 zahnlos, aber mit viel Liebe gesungen hat. Traurig und doch voll Zuversicht. Bei Fritsch und Krupa währt das Eis des zelebrierten Cool dagegen ewig.

Heute, 20 Uhr, Hebbeltheater; Stresemannstraße 29