Wildwüste Wurstereien

Die neue Teilung Deutschlands: Ein „Bratwurst-Äquator“ zieht sich jetzt durchs Land

Deutschland ist ein Stück Lebenskraft. Nein. Die Kraft zum Leben kommt aus dem Herzen Deutschlands. Schon besser. Aus dem herzhaften Süden Deutschlands kommt des Lebens Rettung. Fürwahr.

Fürwahr sollte sie einst, dem Busenbomberfreund Franz Josef Strauß gemäß, von dort unten, aus Bayern, über uns kommen, die Errettung Deutschlands. Und tatsächlich steht nun die Erfüllung jener delikaten Prophetie unmittelbar bevor.

Seit dem 28. Februar nämlich rollt sie, die Kampagne, und unterdessen hat sie eine gewaltige Zahl von Konsumenten mobilisiert. Auf Betreiben der Edeka-Handelsgesellschaft und der Gebiets-Winzergenossenschaft Franken, unterstützt durch den Bayerischen Hotel- und Gaststättenverband, die Bezirke Ober-, Mittel- und Unterfranken, den Tourismusverband Franken und den Feinkosthersteller Develey sowie unter der Schirmherrschaft zwar nicht des evtl. kommenden Kanzlers Stoiber, doch unter der des bayerischen Innenministers Dr. Günther Beckstein verbreitet eine die Regionen Sachsen, Thüringen und Sachsen umfassende und bald die gesamte Republik erfreuende kulinarisch-infernalische Großoffensive beste Aufbruchstimmung – die, um die Katze endlich aus dem Sack zu knüppeln, Initiative „Bratwurst-Äquator“.

„Bratwurst-Äquator“ – was meint das? Bratwurstkränzeflechten im Ringelpiezrahmen ost-westdeutscher Verständigungsarbeit? Nicht ganz. Aber fast. „Der ‚Bratwurst-Äquator‘“, informiert das Kundenblatt Edeka aktuell, „ist dabei kein Äquator im geographischen Sinne, er umfasst als kulturelles Bindeglied die Regionen Franken, Sachsen und Thüringen.“ Er, der „Bratwurst- Äquator“, „ist das Symbol für fränkische, thüringische und sächsische Lebensart“ (Edeka family world) und eint deutsche Lande im Einheitsgedanken der Einheit in Vielfalt von Regionen.

Mit anderen und noch treffenderen Worten: Der „Bratwurst-Äquator“ „soll“, so die jüngste Wurfsendung begriffsdifferenzierend, „als kulturübergreifendes Bindeglied“ nicht bloß der Bratwurst Beine machen bzw. auf dieselben helfen; er soll nicht nur der Wurstkultur ein Stück Lebensmut einhauchen und einen mächtigen Vorwärtsschub verleihen; er soll als eben jenes Glied in der Kette der Kulturen „zwischen Ost und West verstanden werden“ und einerseits die gravierenden mentalen und geschmacklichen Ost-West-Verwerfungen ausbügeln, andererseits den old bavarian Weißwurstäquator (Main) letztlich signalhaft so weit nach Norden verschieben, dass dann auch erstmals ein Bayer den Kanzlerthron besteigen kann – indem er G. Schröders Currywurstmanieren eindrucksvoll konterkariert qua Verzehr der nagelneuen „Bratwurst-Äquator“-Kreationen namens sage und keife und weine: „Äquator-Griller“.

Wie ein zubeißend-zupackendes Foto im Wirtschaftsreport beweist, mundeten dem Schirmherrn Beckstein die „drei Bratwurstsorten“ bei der Nürnberger Ausrufung des „Bratwurst-Äquators“ dermaßen extravagant geil, dass er das Maul gar nicht mehr zu bekam. Ja, von Nürnberg ging früher so einiges aus. Und jetzt also die von wüsten Schlachterhirnen ersonnenen und wilden Metzgerhänden geschaffenen Neowürste, deren Namen – wenn schon nicht deren Inhalte – der Leser sich auf der pelzigen Zunge zergehen lassen möge: „Schinken-Bratwurst“, „Zwiebel-Käse-Bratwurst“ und „Pizza-Bratwurst“.

Marschieren infolge dieser bahnbrechenden Wurstverwüstung ganzer Landstriche auch die guten Fränkischen und Thüringer Bratwürste vor die Hunde (welchselbe dann wenigstens mal was Ordentliches zu fressen haben), so werden sich rund um den „Bratwurst-Äquator“ immerhin diverse Kleinkunstgauner den Magen mit Moneten vollschlagen (ein Kabarettpreis, Mundartdichtungswettbewerbe und eine artistisch gestaltete „Woche der Bratwurst“ sind annonciert). Obendrein darf der Käuferesel für die 300-Gramm-Packung „Äquator-Griller mit Pizza-Geschmack, Schinken-Geschmack oder Käse-Zwiebel-Geschmack“ nahezu doppelt so viel als für die gleiche Menge Thüringer Rostbratwurst oder Hausmacherbratwurst berappen.

Anders denn die etwa achtzig traditionellen süddeutschen Bratwurstsorten (von der Nürnberger über die Bauernbratwurst bis zur Wollwurst) verlangen die bahnbrechenden Brätlinge keine spezifische Würzung, keine bedachtsame Gewichtung der gewolften und in Natursaitlinge gepressten Schweinefleisch-, Speck- und/oder Kalbfleischanteile, keine sorgfältige Reifung, keine edel-einfachen Beigaben wie Kümmelkraut, Bier, Bratkartoffeln oder Graubrot. Sie benötigen einen bayerischen Staatsminister und einen „abgestimmten Silvaner, aus dem Hause Develey kommt das Sauerkraut und der Senf für eine gute Bratwurstmahlzeit“ (Edeka). Na denn Heil!

JÜRGEN ROTH