Alle Welt gegen Scharon

Quartett aus UNO, USA, EU und Russland fordert sofortigen israelischen Abzug. Selbstmördersprengt Bus in die Luft: neun Tote. Kontroverse Debatte um Einsatz deutscher Soldaten in Nahost

MADRID/JERUSALEM rtr/dpa/taz ■ In demonstrativer Einigkeit haben die Vereinten Nationen, die Europäische Union, die USA und Russland Israel gestern aufgefordert, seine Truppen sofort aus dem Westjordanland abzuziehen. Sie appellierten in Madrid zugleich an Palästinenserpräsident Jassir Arafat, größtmögliche Anstrengungen zu unternehmen, um weitere „terroristische Anschläge gegen unschuldige Israelis“ zu verhindern.

An dem Treffen in Madrid nahmen UNO-Generalsekretär Kofi Annan, Spaniens Ministerpräsident José María Aznar als EU-Ratspräsident, US-Außenminister Colin Powell sowie dessen russischer Kollege Igor Iwanow teil. „Wir rufen Israel auf, seine Militäroperation sofort einzustellen“, heißt es in der Erklärung, die Annan im Beisein der anderen verlas. „Wir fordern einen sofortigen tragfähigen Waffenstillstand und den sofortigen Abzug Israels aus den palästinensischen Städten, einschließlich Ramallah, und insbesondere aus Arafats Hauptquartier.“

Angesichts der Eskalation forderte das EU-Parlament gestern sogar die Entsendung einer internationalen Eingreif- und Beobachtertruppe in den Nahen Osten. Die Mitgliedsstaaten sollten sich darauf einstellen, „unverzüglich ihren Beitrag zu dieser Truppe vorzubereiten“.

Ungeachtet aller Appelle zur Mäßigung beschloss das israelische „Sicherheitskabinett“ jedoch die Fortsetzung der militärischen Offensive. Ministerpräsident Ariel Scharon erklärte zu der Aufforderung, die Kämpfe zu beenden: „Wir müssen dies so schnell wie möglich tun, aber wir müssen die Aufgabe beenden.“ Die USA sollten Israel nicht drängen. Bei einem neuen Selbstmordanschlag auf einen Bus im Norden Israels wurden gestern mindestens neun Menschen getötet und über zwanzig verletzt. Es war der erste Selbstmordanschlag seit Beginn der israelischen Offensive.

Die israelische Armee hat nach eigenen Angaben den Widerstand im Flüchtlingslager Dschenin gebrochen. Die Zahl der Toten im Lager wird auf palästinensischer Seite auf mehrere hundert geschätzt. Auch 23 israelische Soldaten kamen ums Leben. Das UN-Hilfswerk UNRWA warnte vor einer menschlichen Katastrophe. Noch immer untersage die israelische Armee, getötete Palästinenser beizusetzen, Verwundete zu bergen und die Zivilbevölkerung mit Wasser und Lebensmitteln zu versorgen.

Von Südlibanon aus schossen arabische Kämpfer gestern 12 Raketen auf Nordisrael und die besetzten Golanhöhen ab – mit die schwersten Angriffe seit dem israelischen Abzug im Mai 2000. Zugleich riefen gestern islamische Fundamentalistengruppen zum Dschihad gegen Israel auf. In einer Erklärung forderten sie, die „heiligen Stätten zu befreien und das unterdrückte Volk zu unterstützen, das der zionistischen Brutalität ausgesetzt ist“.

Zu kontroversen Diskussionen führte in Berlin die Forderung nach einem Einsatz deutscher Soldaten in Nahost. Während CDU-Chefin Angela Merkel sie für möglich erachtete, lehnte Kanzlerkandidat Edmund Stoiber solche Überlegungen als „Schaumschlägerei“ ab. Auch die Fraktionschefin der Grünen, Kerstin Müller, forderte das sofortige Ende dieser Debatte. GB

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