Strenge und Ausgelassenheit

■ German Dance: „Solo“ und „Auftaucher“ auf der Bühne B12

Erschöpft wirkt die Frau, die da allein am nackten Holztisch auf einem Stuhl sitzt. Licht fällt von hinten auf ihren Rücken. Das Gesicht bleibt vorerst im Dunkeln. Dann sinkt ihr Körper auf die Platte. Impulsiv reißt sie sich wieder hoch. Ihre Hand schwebt zur Wange. Sich selbst fremd, tastet sie nach ihrer Haut. Ist es Verzweiflung oder der Kampf gegen das Gespenst der Einsamkeit, das sich als ihr Schatten an der Wand aufrichtet?

Die Tradition des Ausdruckstanzes hat sich unverkennbar in diese Gesten eingeschrieben. „German Dance“ wird dieses Genre im Ausland genannt. Und das Folkwang Tanzstudio aus Essen, zurzeit zu Gast in der Bühne B12, gilt in aller Welt als Aushängeschild für diesen Tanz aus Deutschland. Beim ersten Stück des Abends, Solo, choreografiert und getanzt von Henrietta Horn, der Leiterin der Compagnie, glaubt man anfangs noch, dieses Erbe laste schwer auf den Schultern der jungen Choreografin. Doch schon wechselt Horn die Perspektive, umkreist den Tisch, den sie eben noch umarmt hat, wie ein feindliches Objekt. Streicherklänge durchschneiden die Stille, brechen in das Gebäude ein, das die expressive Tänzerin hoch konzentriert und spannungsvoll im Ringen um Nähe und Distanz aufbaut.

Auftaucher, das zweite und Horns jüngstes Stück für die fünf Tänzerinnen und fünf Tänzer der Compagnie, lebt vom Kontrast zwischen minimalistischer Strenge und Ausgelassenheit. Phänomenal ist die Präzision in den dynamischen Bewegungen der jungen Tänzer. Die Frauen tragen lange Abendroben, die Männer treten in Hemdsärmeln auf. In den Händen halten sie kleine Rasseln versteckt, weshalb sie die ganze Zeit mit geballten Fäusten tanzen.

Gebannte Energie, die ständig auszubrechen droht. Überbordend spielt die Musik der Fanfare Ciocarlia zum Tanz auf. Die Tänzer schreien, gestikulieren und schlagen sich rhythmisch rasselnd auf die Schenkel. Ein Paar tanzt Tango mit he-rausfordernden, kurzen, wendigen Schritten, ohne sich je zu berühren. Zwei Kampfhähne stehen sich gegenüber. Einzig die Spannung ihrer Blicke zwingt schließlich einen von ihnen zu Boden.

Trotz theatraler Gesten ist dieser Tanz kein Tanztheater. Horn arbeitet musikalisch. Ihr Tanz ist raffiniert verwoben, bis ins kleinste Detail durchkomponiert. Ein choreografisches Meisterwerk. In Jakarta riss Auftaucher bei seiner Uraufführung im vergangenen Herbst zu Begeisterungsstürmen hin. Die private Tanzbühne B12 feiert nun, trotz Finanznot, mit dem Gastspiel des renommierten Folkwang Tanzstudios ihr mittlerweile fünfjähriges Bestehen. Marga Wolff

heute + morgen, 20 Uhr, Bühne B12, Bullerdeich 12, Tel. 250 40 53