Der Tiger lädt in sein Versteck

In Sri Lanka nährt der Führer der Tamilenrebellen und mutmaßliche Verantwortliche für zahlreiche Selbstmordattentate in einer außergewöhnlichen Pressenkonferenz vorsichtige Friedenshoffnungen. Der Premierminister reagiert überraschend positiv

aus Delhi und Berlin BERNARD
IMHASLY
und SVEN HANSEN

Bei seiner ersten Pressekonferenz nach zwölf Jahren hat der Führer der separatistischen „Befreiungstiger von Tamil Eelam“ (LTTE), Vellupillai Prabhakaran, an der Forderung nach einem eigenen Staat für die tamilische Minderheit festgehalten. Zugleich nährte er aber die Hoffnung, dass sich seine Organisation doch mit einer weit reichenden Autonomie für die Tamilengebiete im Norden und Osten Sri Lankas zufrieden geben könnte.

„Wenn die Regierung uns eine substanzielle Lösung anbietet, die auf die Forderungen unseres Volkes eingeht, werden wir das ernsthaft in Erwägung ziehen,“ so Prabhakaran während der zweieinhalbstündigen Pressekonferenz am Dienstagabend.

Der 47-jährige Guerillaführer forderte von der Regierung in Colombo, das vierjährige Verbot seiner Organisation aufzuheben. Er nannte die Friedensinitiative von Premierminister Ranil Wickramasinghe „mutig“ und hoffe, dass sie Erfolg habe. „Es ist jetzt das erste Mal, dass eine dritte Partei bei den Friedensgesprächen vermittelt,“ sagte Prabakharan den über dreihundert Journalisten, die in sein Dschungelversteck bei Kilinochi gereist waren. Dort hatten sie sich einem sechsstündigen Sicherheitcheck unterziehen müssen.

In einer ersten Reaktion sagte Wickramasinghe: „Der Friedensprozess kann nach den gestrigen Kommentaren von Prabhakaran intensiviert werden.“ Im Mai wollen LTTE und Regierung unter norwegischer Vermittlung in Thailand Friedensgespräche beginnen. Bereits am 22. Februar war von Norwegen vermittelt ein Waffenstillstand in Kraft getreten. Zuletzt scheiterte 1995 der Versuch, den Konflikt mit bis heute über 60.000 Toten durch Verhandlungen zu lösen.

Inwzsichen wurde die LTTE von mehreren Staaten, darunter Indien und den USA, als terroristisch eingestuft. „Wir sind keine Terrorganisation, sondern eine Befreiungsbewegung,“ sagte Prabhakaran. Fragen nach seiner Verantwortung am Mord des indischen Premiers Rajiv Gandhi und an den über 200 der LTTE zur Last gelegten Selbstmordattentaten beantwortete er nicht.

Erst der militärische Erfolg der LTTE erlaubt es, in den zahllosen Attentaten nachträglich eine Strategie auszumachen. Noch nicht 21-jährig, erschoss Prabhakaran, Sohn eines Beamten in der Tamilen-Hochburg Jaffna, 1975 den Bürgermeister der Stadt. Ein Jahr später gründete er die LTTE. Im Juli 1983 überfiel er einen Militärkonvoi. Das anschließende Pogrom gegen Tamilen in Colombo löste den Bürgerkrieg aus. Prabhakaran begann einen Zweifrontenkrieg gegen den singhalesischen Staat und rivalisierende Tamilen-Gruppen, deren Kader er systematisch beseitigte. Vier Jahre später war die LTTE alleinige Sprecherin der Tamilen.

Als Indien mit Zustimmung der LTTE und Colombos eine Friedenstruppe nach Sri Lanka schickte, entpuppte sich Prabhakaran nicht nur als Killer, sondern auch als genialer Guerillaführer und politischer Stratege. Er arrangierte sich mit Colombo und zwang die indische Großmacht zum demütigenden Rückzug. Rajiv Gandhi vergab der LTTE nicht. Ihr dichtes Netz von Schläferzellen und Waffendepots in Indiens Tamil Nadu wurde zerstört. Prabhakaran rächte sich auf seine Art: Am 21. Mai 1991 wurde Gandhi von einer Selbstmordattentäterin getötet.

Sri Lankas politischer Elite erging es nicht besser. Vom Staatspräsidenten Premadasa bis zum pazifistischen Professor Neelan Tiruchelvam wurde führende Politiker Opfer von Prabhakarans rücksichtsloser Energie. Der 11. September könnte die Parameter auch in Sri Lanka verändert haben. Der Kampf gegen den Terrorismus ist nicht mehr ein Lokalphänomen, sondern eine weltweite Verantwortung. Prabhakaran könnte dies erkannt haben.

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