„Man muss Oberflächen bedienen können“

Die Kieler Kriminologin Monika Frommel über das rot-grüne Versagen in Hamburg und die Ideologisierung der Drogendebatte

taz: Frau Frommel, die Schill-Partei ist in Sachsen-Anhalt bei knapp 5 Prozent. Hat das Prinzip Schill überregional Erfolg?

Monika Frommel: Es war zu erwarten, dass er seinen Ankündigungen keine Taten folgen lassen kann und sofort als Luftblase erkannt wird, und zwar gerade vom einfachen Bildzeitungsleser.

Wie erklären Sie sich dann den Erfolg, den Schill in Hamburg hatte?

In Hamburg war die Debatte bereits hochideologisiert. Daher konnte sich eine rechte Ideologie kurzfristig gegen eine linke behaupten.

Was war die linke Ideologie?

Der Glaube, dass Kriminalpolitik durch Sozialpolitik vollständig ersetzbar, innere Sicherheit ausschließlich durch demokratische und klientennahe Projekte hergestellt werden kann. Das hat dazu geführt, dass eine pragmatische, vorsichtig experimentierende Kriminalpolitik gleich in einen Rechts-links-Schlagabtausch geraten ist. Außerdem hat man die akzeptierende Drogenarbeit verknüpft mit der umstrittenen Frage, wie sich eine Stadt an Bahnhof präsentieren soll.

Sie befürworten, dass der Hamburger Hauptbahnhof jetzt mit Spülwassermusik beschallt wird, um Junkies zu vertreiben?

Wenn diese sich durch eine Musik gestört fühlen, die Sie so nennen, dann entspricht dies dem Zweck eines Bahnhofes, eine Art lautlose Disziplinierung ohne Repression zu bewerkstelligen.

Aber es war die SPD, die die Drogenszene aus dem Bahnhofsviertel ins Schanzenviertel getrieben hat, wo auf mehr Akzeptanz durch die Bevökerung gesetzt wurde.

Aber das Konzept, auf die Akzeptanz der jeweiligen Bevölkerung zu achten, wurde nicht publiziert und deshalb von niemanden wahrgenommen. Man schwankte ständig: Einerseits setzte man auf Sozialpolitik, wollte aber auch wieder Härte zeigen, Stichwort Brechmitteleinsatz. Man kann nicht zwei gegensätzliche ideologische Positionen gleichzeitig verkaufen. Außerdem hat man zu Fragen der inneren Sicherheit linksliberalen Akademikern – etwa den vielzitierten Jugendrichtern – den öffentlichen Raum überlassen. So war es für Rechte leicht, die „lasche Justiz“ zu denunzieren. Herrschaftskritik ist nicht falsch, aber so voraussetzungsreich, dass es im Fernsehen in fünf Minuten nicht „rüberkommt“.

Sie befürworten, die öffentliche Debatte weniger differenziert zu führen?

Nein, aber ich würde mir wünschen, dass Akademiker im Fernsehen nicht so naiv argumentieren wie in Hamburgs geschehen. Was fehlt ist eine bodenständige liberale Argumentation, wie etwa in den 1970er-Jahren, ein gutes Beispiel für akademische und publizistische Kooperation und Sensibilität.

Was ist seither schief gelaufen?

Die Frauenbewegung und in die Jahre gekommene Herrschaftskritik redeten insbesondere in Hamburg aneinander vorbei. Letztere haben nicht begriffen, dass auch sie eine angemessene Opferperspektive einnehmen könnten. Umgekehrt sind viele feministische Forderungen nicht erkennbar liberal, so dass es zurzeit kein linksliberales Konzept gibt, das überzeugt.

Aber Schill sieht nun wahrhaftig nicht nur das Opfer.

Schill hat einen populistischen Opferbegriff und sieht den Täter nur als Feind. Das ist extrem schlicht, denn gerade die Angehörigen der Unterschichten wissen, dass es auch vom Zufall des Schicksals abhängt, ob eine drogenabhängige junge Frau als Drogentäterin angeklagt oder als Opfer eines Verbrechens missachtet wird. Schills Ansichten sind in jeder Hinsicht realitätsresistent. Er wird daran scheitern, dass er nicht umsetzen kann, was er versprochen hat. INTERV.: ULRIKE WINKELMANN