Mit der Chicha gegen das Heimweh

Al-Dschasira läuft ständig auf dem Fernseher. In den Kaffeehäusern beobachten die Palästinenser in Berlin den Krieg in ihrer Heimat. Doch die alltäglichen Probleme in Deutschland bleiben davon unberührt. Und auch zum Teetrinken und Wasserpfeiferauchen bleibt immer Zeit. Ein Porträt

„Man kann sich ja nicht schminken, äußerlich bist du Ausländer.“

von BENJAMIN DIERKS

Idyllische Malereien arabischer Landschaften schmücken die Wände in dem fast ausschließlich von Palästinensern besuchten Neuköllner Café El-Hannin. Auf dem Fernseher über der Eingangstür überbringt der arabische Fernsehsender al-Dschasira in schneller Bildabfolge Hiobsbotschaften aus den neu besetzten Autonomiegebieten, nicht ohne die regelmäßigen Schuldzuweisungen an Israel. Im hinteren Teil des Cafés sitzen ältere Männer beim Tee und sind fast schweigend ins Kartenspiel vertieft. Die Kohle in den Chichas, den großen gläsernen Wasserpfeifen, wird vom Caféinhaber regelmäßig ausgewechselt.

Ungefähr 20.000 Palästinenser leben in Berlin, so die Schätzung der Berliner Außenstelle der Palästinensischen Generaldelegation, die in Deutschland eine Art Botschaft des nicht existierenden Staates Palästina darstellt. Eine genaue Erhebung ist schwierig, da viele Palästinenser die libanesische oder jordanische Staatsbürgerschaft besitzen.

Die meisten von ihnen leben in Neukölln, Kreuzberg, Wedding und Tiergarten. Um das Leben in den Gemeinden kümmert sich eine Anzahl von sozialen und politischen Organisationen und Stadtteilinitiativen, deren Aktivitäten ein weites Feld abdecken, von der Hilfe bei Behördengängen bis hin zur Vorbereitung von Demonstrationen.

In den arabischen Teehäusern und Gemeindezentren dominiert der Krieg in Nahost die Gespräche unter den Besuchern, aber ganz kann der die Gedanken über den Alltag als „Ausländer“ in Berlin nicht verdrängen.

Nagi, ein etwa 60-jähriger Familienvater, scheint nahezu erleichtert, fernab der Tagespolitik über sein Leben als Palästinenser in Deutschland sprechen zu können. 1975 kam er aus einem libanesischen Flüchtlingslager, das übersetzt den Namen „Thymianhügel“ trägt, in ein kleines Dorf in der Nähe von Lehbach an der Saar, wo er auch seine deutsche Frau kennen lernte. „Es gab dort nur ein Café im Ort“, schmunzelt der gelernte Elektromechaniker, „da kam man gar nicht umhin, sich immer wieder über den Weg zu laufen“. 1980 zog das Paar nach Berlin, die zwei ältesten ihrer fünf Kinder waren damals drei Jahre alt. „Ein Zwillingspaar“, erwähnt Nagi stolz, „ein Junge und ein Mädchen.“ Der Sohn arbeitet bei einem großen Autohersteller, die Tochter hat vor einem Jahr geheiratet. Einen jungen Palästinenser, den sie sich selbst ausgesucht hat. „Er hat mir nicht sonderlich gefallen, aber schließlich war es ja nicht ich, der ihn heiraten musste“, wirft er achselzuckend ein.

Es sei schon merkwürdig, eigentlich stelle seine Familie doch das Musterbeispiel für erfolgreiche Integration dar, seine Kinder stünden in Ausbildung und Beruf gut da und hätten wie er einen deutschen Pass. Und trotzdem fühle er sich hier nicht richtig geborgen. „Man kann sich ja nicht schminken, äußerlich bist du Ausländer.“ Vor allem seiner Kinder wegen mache er sich Sorgen. Die zwei älteren wirkten zwar „deutsch“, aber der jüngere Sohn habe eher sein Aussehen, „dunkle Haare und so“.

Der habe gerade 70 Bewerbungen rausgeschickt. Beim Telefongespräch mit den Firmen habe sich immer alles ganz toll angehört, so als sei der Job schon sicher. Nur als er den Leuten von der Personalabteilung beim Einstellungsgespräch gegenübersaß, da sei es jedes Mal vorbei gewesen. Er wisse schon, woran das liegt, nickt er, aber er wolle seinen Sohn nicht entmutigen, die Jungen lebten hier eh schon am Rande der Gesellschaft.

Schräg gegenüber auf der Sonnenallee liegt das Café Umkalthum, das schönste arabische Teehaus in Berlin, wie ein Besucher sagt. „Man trifft hier nur intelligente Leute“, meint er, und die kämen aus allen möglichen Ländern, aus Tunesien, Marokko, Agypten, dem Libanon – sogar Deutsche kämen vorbei. Auch Frauen säßen hier ab und zu beim Tee.

In einer Ecke sitzt Mohammed mit ein paar Freunden. Der 25-jährige Palästinenser kam vor sechs Jahren aus dem Libanon nach Berlin. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, seitdem lebt er hier mit dem Status der Duldung. „Bis jetzt kann ich hier nicht arbeiten, nicht lernen, kann ich gar nichts machen. Und mit 425 Mark Unterstützung im Monat, da kannst Du gerade mal Kaffee und Wasser trinken“, erzählt der junge Mann sichtlich bewegt. „Was in Deutschland mit Flüchtlingen passiert ist unmenschlich.“ Wie im Gefängnis fühle er sich. „So was hat Israel nicht mit uns gemacht.“ In Portugal dürfe man doch auch schon nach sechs Monaten arbeiten. Dabei sei das Land doch wirtschaftlich viel schwächer gestellt als die Bundesrepublik.

Bis auf die paar Freunde sei er hier ganz allein, sagt Mohammed und zeigt in die Runde, auch die palästinensichen Organisationen in der Stadt hätten ihn bisher nicht großartig unterstützt.

Dabei zählen Vereine wie die Palästinensische Gemeinde Leute wie Mohammed durchaus zu ihrer Klientel. Hilfe bei Ärger mit den Behörden sei ein wichtiger Teil ihrer Arbeit, berichtet Mohammed Zaher, Vorsitzender der Organisation in der Moabiter Walchstraße, die nach eigenen Angaben 4.000 Mitglieder zählt. Aber vor allem die Unterstützung palästinensischer Familien sei ihnen wichtig. Mit der neuen Generation von Jugendlichen wüchsen auch die Probleme zwischen Jung und Alt. Die Jugendlichen hätten oft kein Verständnis für die Tradition und die geschichte ihrer Eltern, da müsse viel Verständnisarbeit geleistet werden.

Die Vereinigte Palästinensische Gemeinde (VPG), Schwesterorganisation von Zahers Verein, kümmert sich zur Zeit vor allem um die Palästina-Solidarität. Gemeinsam rufen sie heute zur Solidemo für Palästina zusammen mit einem Bündnis von deutschen Linken und Friedensbewegten, die, so Laura von Wimmersperg von der Berliner Friedenskoordination, schon immer eine Plattform geboten hätten für „die verschiedenen Völker in der fortschrittlichen Bewegung“.

Bei der Pressekonferenz in der VPG sind die Fronten klar abgesteckt. Israel gilt hier als „Wächter der US-Interessen in der Region“, die USA und Europa würden sich nicht trauen, Druck auszuüben. Vor allem „unaufgearbeitete Schuldgefühle“ seien in Deutschland Grund für die angebliche Zurückhaltung. Bei den ausgesprochenen Kritikern der propalästinensischen Bewegung vermutet man gar eine „Zusammenarbeit mit dem Mossad“.

Mohammed aus dem Café Umkalthum hält nicht viel von radikalen Positionen. Er sei zwar auch Patriot, sagt er, „aber vor allem hoffe ich, dass „die Menschlichkeit gewinnt“.