Mit Krümeln in die Offensive

Zukunft in der Freiheit: 45.000 Kita-Plätze will Berlin an freie Projekte übertragen. Eine Kita in Treptow hat den Schritt getan. Nicht nur das Mobiliar hat sich verändert, auch die Pädagogik ist neu. Aber: Mit weniger Personal wäre es nicht machbar

von ULRIKE HEIL

Ein offensiver Krümel fährt auf seinem Tretroller vor dem zweistöckigen, mit Ernie-und-Bert-Graffiti verzierten Plattenbau in Treptow umher. Im Garten turnen andere offensive Krümel auf Spielgeräten oder buddeln im Sandkasten. Seit die einst kommunale Kita in der Bouchéstraße 1996 in die freie Trägerschaft des Vereins Offensiv 91 übergegangen ist, hat sich viel geändert. Aus 150 Kita-Kindern wurden 150 „offensive Krümel“.

In der Garderobe gleich hinter der gläsernen Eingangstür hängen die kleinen Mäntel seit kurzem nicht mehr in alten DDR-Stahlschränken, sondern an neuen Kleiderhaken. Gleich links geht es in den Sportraum. Dort schwimmen zwei Krümel im Pool. Doch statt durchs Wasser tauchen sie durch ein Bassin voll bunter Bälle. „Den Pool haben wir von der Bewag“, erklärt Kita-Leiterin Bettina Dunkel und weist auf ein knallrote Schaukel daneben: „Die hat eine Sportfirma gesponsort.“ Im Tanzsaal zeigt sie auf die neueste Errungenschaft, eine Spiegelwand mit Ballettstange. Und im Essensraum präsentiert sie die höhenverstellbaren Tripp-Trapp-Stühle – auch nach der Übernahme angeschafft. Bei einer Kita-Führung mit Bettina Dunkel bekommt man schnell das Gefühl, vor dem Übergang in Freie Trägerschaft hätte es hier gar nichts gegeben.

Bettina Dunkel kennt jede Ecke der Kita. Die Frau mit dem dunklem Haar und der Goldrandbrille gehört sozusagen zum Inventar. Seit 1978 besteht die Kita, seit 1979 ist sie die Leiterin. Sie hat mitbekommen, wie die Kinderkrippe nach der Wende zur anerkannten Kita wurde, sie war dabei, als sich Offensiv 91 e. V. als neuer Träger anbot. Der Verein gründete sich 1991, um Arbeitsplätze für Frauen zu schaffen. Heute kümmern sich die Mitglieder auch um Insolvenzberatung und betreutes Wohnen. Und sie führen ein Puppentheater. Die „Offensive Krümel“ ist die einzige Kita in ihrer Trägerschaft.

Angst vor der fehlenden Sicherheit des Staates

„Der Verein gefiel uns gleich. Dennoch fanden wir es zunächst beängstigend, ohne die Sicherheit im öffentlichen Dienst auszukommen“, erinnert sich Bettina Dunkel. Doch die zwölf Erzieher und vier Teilzeitkräfte gewöhnten sich schnell daran, nicht mehr jede noch so kleine Anschaffung aufwendig beantragen zu müssen oder – wie Dunkel sagt – „um alles zu betteln, damit das Bezirksamt es doch ablehnt“. Die Finanzen sind dabei nur eine Seite, die andere ist das pädagogische Konzept. „Und daran mangelte es damals.“

Heute arbeiten Dunkel und ihre Kollegen mit unterschiedlichen pädagogischen Ansätzen, aber immer an Lernzielen orientiert. Heißt: Es gibt konkrete Angebote und 15- bis 30-minütige Lernphasen. In der verbleibenden Zeit spielen die Krümel. Alterstrennung gibt es dabei nicht, einjährige Krippenkinder sind mit Hortkindern zusammen. Das übt die Rücksichtnahme. Viel Bewegung im Garten ist den Krümel-Leitern ebenso wichtig wie Entspannungsphasen. Im Kita-eigenen „Snoozle“-Raum – Snoozeln stammt aus dem Holländischen und bedeutet so viel wie dösen – können sich Kinder in weiche Kissen legen und Wasserklängen lauschen.

Trotz aller Neuanschaffungen und pädagogisch ausgefeilten Snoozle-Räumen befürchtet die Kita-Leiterin, dass bald etwas Entscheidendes zu kurz kommen könnte: Viel mit den Kindern zu sprechen. Dunkel hat beobachtet, dass in den letzten Jahren immer mehr Kinder mit Sprachauffälligkeiten in die Kita kommen. Wenn man nun das Personal verkleinere, wie vom Senat geplant, und größere Hortgruppen erzwinge, brauche man sich nicht wundern, „dass die Kinder irgendwann zum Logopäden müssen“. Das Problem setze sich zwangsläufig in der Schule fort. „Dass Kinder sprachliche Schwächen haben, sieht man doch in der Pisa-Studie.“ Erstaunen löst das bei Dunkel nicht aus – nur Ärger über eine verfehlte Bildungspolitik.